den. Trotzdem wehrte sich die Stadt, ohne sich durch das bittere Schicksal der Schwesterstadt Konstanz,
die der Kaiser erobert und vergewaltigt hatte, schrecken zu lassen, gegen die Anerkennung des Interims.
Einmal vereitelte eine Massenkundgebung der Bürgersfrauen den schon beinahe gefaßten Zustimmungs-
beschluß noch einmal31. Schließlich mußte sich der Rat aber doch dem Befehl des Kaisers fügen und Ja
sagen. Tatsächlich jedoch legten die Geistlichen nur seit dem 23. September 1548 den Chorrock an. Der
Rat forderte auch nur noch einige andere Äußerlichkeiten. Am 19. Dezember 1548 durfte auch ein
Stiftsgeistlicher wieder in St.Stephan die Messe lesen. Er führte dann auch das Pfarramt. Wenn sie
nicht den bei der Nähe der kaiserlichen Truppen aussichtslosen Weg der Gewalt beschreiten wollte,
konnte die Stadt das dem reichsunmittelbaren Stift als dem Patron der Pfarrkirche nicht wehren. Es
zeugte wahrlich schon genug von Tapferkeit und Treue, wenn nach dem katholischen Pfarrer die evan-
gelischen Prediger zu einer ungeschminkten Predigt die Kanzel bestiegen. Einige Male wurde einer von
ihnen auch beurlaubt, weil er den neuen Pfarrer gar zu stark geschmäht hatte. Aber mehr erreichte nicht
einmal die Verfassungsänderung, die 1551 hier wie in den anderen Reichsstädten die Zünfte als politi-
sche Größen beseitigte.
Beim Fürstenaufstand konnte sich die Stadt bei ihrer kaiserlichen Besatzung den Fürsten nicht an-
schließen. Der Kaiser gewährte ihr aber deshalb doch sogleich, um sie dadurch in ihrer Haltung zu bestär-
ken, völlige Entbindung vom Interim. Der katholische Gottesdienst verschwand also noch vor dem Pas-
sauer Vertrag - schon am 17. Mai 1552 - aus St.Stephan. Deshalb konnte Lindau später auch unge-
kränkt evangelisch bleiben. Nur das reichsunmittelbare Stift blieb natürlich katholisch. Sein Patronats-
recht auf die Pfarrei wurde am 23. Februar 1556 durch Tausch abgelöst32. Bei den umstrittenen Ver-
hältnissen im Landgebiet, wo der entschieden reformationsfeindliche Graf zu Montfort die Hochgerichts-
barkeit besaß und auch das Patronat in katholischen Händen war, konnte schon in der Interimszeit der
Lindauer Brauch nicht durchgeführt werden. Hier drang die katholische Religionsübung wieder ein.
So gingen Bösenreutin, Leimnau, Sigmarszell und Weißenberg verloren. Nur Aeschach und Reutin
blieben evangelisch.
Die bekenntnismäßige Lage hatte sich inzwischen in Lindau gewandelt. Konstanz war als Freund
und Kampfgenosse weggefallen. Gaßner war kurz vor dem Interim gestorben. Schon vorher hatten Bür-
ger ihre Söhne auf die Universität Wittenberg geschickt. Nun kamen Männer auf die Kanzel, die dort
studiert hatten. Gleich bei Abschaffung des Interims wurde mit dem heiligen Abendmahl der Gesang der
Litanei33 verbunden. Die Chorhemden fielen erst 1555.
Die Führung hatte der junge Georg Necker aus Lindau34.Ihm,demSchüler Melanchthons, ja des
Flacius, war die Lindauer Gottesdienstform nicht lutherisch genug. Zur Beilegung der so entstandenen
Auseinandersetzungen unter den Geistlichen wurden aus Straßburg, das eben auch den Weg zum stren-
gen Luthertum einschlug, die Lindauer Stadtkinder Johann Marbach35 und Valentin Erythräus36 nach
Lindau gerufen. Im Februar 1555 arbeiteten sie zusammen mit den Lindauer Geistlichen eine neue
Kirchenordnung aus.Für die beiden Landkirchen Reutin und Aeschach wurde, weil dort am Sonntag
31 Nach einem Brief Paul Ebers in: Christian Heinr. Sixt, Paul Eber. Ansbach 1857. 232.
32 Wolfart 1 I 352.
33 Siehe Sehling 11, 503f. - Vgl. S. 368 f.
34 Geb. um 1523. — 1545 Lyssa bei Delitzsch Pfarrer, 1553 Lindau Prediger- † 1574 (Wolfart 2, 326).
35 * 1521. - 1546 Isny Prediger, 1545 Straßburg Pfarrverweser, 1547 Pfarrer, 1549 auch Professor, 1552 Präses des
Kirchenkonvents — † 1581 (Grünberg, in: RE 12, 245—248. — Schottenloher 14818—14827. — Bopp 3347). — Von
seinen Schriften erlangte sein Katechismus dadurch, daß ihn Memmingen übernahm, auch in Bayern Bedeutung
(vgl. S. 233!).
36 * 1521. - 1543 Straßburg Lehrer, dann Professor der Rhetorik, 1575 Altdorf Rektor - † 1575 (Gg. Andr. Will,
Nürnbergisches Gelehrtenlexikon 3 [Nürnberg 1755] 351—355; 5 [1802] 295).
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die der Kaiser erobert und vergewaltigt hatte, schrecken zu lassen, gegen die Anerkennung des Interims.
Einmal vereitelte eine Massenkundgebung der Bürgersfrauen den schon beinahe gefaßten Zustimmungs-
beschluß noch einmal31. Schließlich mußte sich der Rat aber doch dem Befehl des Kaisers fügen und Ja
sagen. Tatsächlich jedoch legten die Geistlichen nur seit dem 23. September 1548 den Chorrock an. Der
Rat forderte auch nur noch einige andere Äußerlichkeiten. Am 19. Dezember 1548 durfte auch ein
Stiftsgeistlicher wieder in St.Stephan die Messe lesen. Er führte dann auch das Pfarramt. Wenn sie
nicht den bei der Nähe der kaiserlichen Truppen aussichtslosen Weg der Gewalt beschreiten wollte,
konnte die Stadt das dem reichsunmittelbaren Stift als dem Patron der Pfarrkirche nicht wehren. Es
zeugte wahrlich schon genug von Tapferkeit und Treue, wenn nach dem katholischen Pfarrer die evan-
gelischen Prediger zu einer ungeschminkten Predigt die Kanzel bestiegen. Einige Male wurde einer von
ihnen auch beurlaubt, weil er den neuen Pfarrer gar zu stark geschmäht hatte. Aber mehr erreichte nicht
einmal die Verfassungsänderung, die 1551 hier wie in den anderen Reichsstädten die Zünfte als politi-
sche Größen beseitigte.
Beim Fürstenaufstand konnte sich die Stadt bei ihrer kaiserlichen Besatzung den Fürsten nicht an-
schließen. Der Kaiser gewährte ihr aber deshalb doch sogleich, um sie dadurch in ihrer Haltung zu bestär-
ken, völlige Entbindung vom Interim. Der katholische Gottesdienst verschwand also noch vor dem Pas-
sauer Vertrag - schon am 17. Mai 1552 - aus St.Stephan. Deshalb konnte Lindau später auch unge-
kränkt evangelisch bleiben. Nur das reichsunmittelbare Stift blieb natürlich katholisch. Sein Patronats-
recht auf die Pfarrei wurde am 23. Februar 1556 durch Tausch abgelöst32. Bei den umstrittenen Ver-
hältnissen im Landgebiet, wo der entschieden reformationsfeindliche Graf zu Montfort die Hochgerichts-
barkeit besaß und auch das Patronat in katholischen Händen war, konnte schon in der Interimszeit der
Lindauer Brauch nicht durchgeführt werden. Hier drang die katholische Religionsübung wieder ein.
So gingen Bösenreutin, Leimnau, Sigmarszell und Weißenberg verloren. Nur Aeschach und Reutin
blieben evangelisch.
Die bekenntnismäßige Lage hatte sich inzwischen in Lindau gewandelt. Konstanz war als Freund
und Kampfgenosse weggefallen. Gaßner war kurz vor dem Interim gestorben. Schon vorher hatten Bür-
ger ihre Söhne auf die Universität Wittenberg geschickt. Nun kamen Männer auf die Kanzel, die dort
studiert hatten. Gleich bei Abschaffung des Interims wurde mit dem heiligen Abendmahl der Gesang der
Litanei33 verbunden. Die Chorhemden fielen erst 1555.
Die Führung hatte der junge Georg Necker aus Lindau34.Ihm,demSchüler Melanchthons, ja des
Flacius, war die Lindauer Gottesdienstform nicht lutherisch genug. Zur Beilegung der so entstandenen
Auseinandersetzungen unter den Geistlichen wurden aus Straßburg, das eben auch den Weg zum stren-
gen Luthertum einschlug, die Lindauer Stadtkinder Johann Marbach35 und Valentin Erythräus36 nach
Lindau gerufen. Im Februar 1555 arbeiteten sie zusammen mit den Lindauer Geistlichen eine neue
Kirchenordnung aus.Für die beiden Landkirchen Reutin und Aeschach wurde, weil dort am Sonntag
31 Nach einem Brief Paul Ebers in: Christian Heinr. Sixt, Paul Eber. Ansbach 1857. 232.
32 Wolfart 1 I 352.
33 Siehe Sehling 11, 503f. - Vgl. S. 368 f.
34 Geb. um 1523. — 1545 Lyssa bei Delitzsch Pfarrer, 1553 Lindau Prediger- † 1574 (Wolfart 2, 326).
35 * 1521. - 1546 Isny Prediger, 1545 Straßburg Pfarrverweser, 1547 Pfarrer, 1549 auch Professor, 1552 Präses des
Kirchenkonvents — † 1581 (Grünberg, in: RE 12, 245—248. — Schottenloher 14818—14827. — Bopp 3347). — Von
seinen Schriften erlangte sein Katechismus dadurch, daß ihn Memmingen übernahm, auch in Bayern Bedeutung
(vgl. S. 233!).
36 * 1521. - 1543 Straßburg Lehrer, dann Professor der Rhetorik, 1575 Altdorf Rektor - † 1575 (Gg. Andr. Will,
Nürnbergisches Gelehrtenlexikon 3 [Nürnberg 1755] 351—355; 5 [1802] 295).
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