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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0104
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brauch zu nehmen, sicherlich nicht ohne Absicht unterlassen worden. In der Praxis, wo in den Gemein-
den lutherische Pfarrer um ihres Bekenntnisses willen wichen und durch reformierte ersetzt wurden,
standen ihrer Einführung ernstliche Hindernisse nicht im Wege. Nur in der Oberpfalz widersetzten sich
Landstände und lutherische Geistlichkeit mit derselben Entschiedenheit wie unter Friedrich III. den
Absichten der Heidelberger Regierung. Dort blieb, abgesehen von den schon früher Johann Casimir zu-
gesprochenen Ämtern, die 1582 gegen das Wittumsgebiet Neumarkt ausgetauscht worden waren, die
Kirchenordnung Ludwigs VI. von 1577 in Geltung.
Die neue Kirchenordnung weist gegenüber ihrem Vorbilde von 1563 (Nr. 31) einige Änderungen
auf, die praktischen Erfordernissen oder inzwischen getroffenen kirchlichen Einrichtungen Rechnung
tragen. Das Register ist, da eine Vorrede fehlt, an den Buchschluß gewandert. Exkommunikation und
Krankenkommunion sind durch besondere Überschriften hervorgehoben. Wegen Winterkälte oder
Schwächlichkeit der Täuflinge kann die ausführliche Taufvermahnung gekürzt werden, desgleichen aus
ähnlichen Gründen die Abendmahlsvermahnung. Die Fürbitte für die Obrigkeit ist auf die neue Herr-
schaft umgestellt. Angesichts des inzwischen ausgestalteten Kirchenwesens ist der Abschnitt über die
Almosenpfleger fortgefallen, der durch die Almosenordnung seit 1574 (Nr. 55) überholt war. Bei der
Exkommunikation ist ein Hinweis auf die Kirchenzuchtsübung angebracht, die die Presbyterien seit
1570, den lutherischen Seniorrat und seine reformierte Neuformung von 1584 im Auge hat. Beim Für-
bittengebet ist eine im Herzogtum Johann Casimirs, aber noch nicht in der Kurpfalz allenthalben ge-
troffene Einrichtung der monatlichen Fast- und Bettage erwähnt.
Darüber hinausfinden sich einzelne Momente, die dem konfessionellen Übergangsstadium des Lan-
des entsprechen. So ist die seit 1577 gewohnte Perikopenpredigt zu weiterem Gebrauch freigestellt. Bei
der Kommunion ist neben der reformierten eine lutherisch klingende Spendeformel zugelassen, die
freilich die Identiflkation von Brot und Wein mit dem Leibe und Blut Christi absichtsvoll meidet. Viel-
leicht darf man auch die Verminderung der Abendmahlsfeiern gegenüber 1563 in diesem Sinne verstehen,
daß dadurch die Differenzmöglichkeiten gemindert werden sollten.
Der Heidelberger Katechismus ist im Wortlaut unverändert geblieben, hingegen ist sein Schrift-
beweis unter sichtlicher Benutzung der lateinischen Fassung von 1563 neubearbeitet und durchgängig
erheblich erweitert worden. Wie in der lateinischen und in den deutschen Separatausgaben spätestens seit
1570 erscheinen nun in der Zitierung der Bibelstellen auch die Verszahlen.
Ausführlichkeit und theologisches Gewicht haben den praktischen Gebrauch des Katechismus seit
Anfang erschwert. So wurde ihm schon in seiner Erstgestalt eine kurze Zusammenfassung, die in der
Kirchenordnung von 1563 wenig erweitert wurde, beigegeben. Auch die neue Ausgabe der Kirchenord-
nung von 1585 behält diese bei. Zusätzlich fügt sie nun noch, wie schon auf dem Titelblatt vermerkt, den
sog. kleinen Heidelberger Katechismus an, der 1576 entstanden war und 1585 eine Neubearbeitung er-
fahren hatte. Eine gesonderte Vorrede vom 1. Juni 1585, woher wir den einzigen näheren Anhaltspunkt
für die Datierung der Kirchenordnung gewinnen, empfiehlt ihn für den Unterricht der Einfältigen und
jungen Leute als eine Vorstufe zum großen Katechismus, an dessen kirchlicher Stellung und Bedeutung
damit nichts geändert werden soll.
Da dieser kleine Katechismus von 1585 eine Bearbeitung einer älteren Vorlage ist, wird man ihn
kaum ganz91, sondern höchstens seine neu gewonnenen Eigentümlichkeiten dem in diesen Jahren beson-
ders einflußreichen Daniel Tossanus zuschreiben dürfen. Zu seiner theologischen Würdigung ist in
erster Linie von seinen Eigenarten gegenüber dieser Vorlage und erst dann gegenüber dem großen
Katechismus auszugehen92. Kleinere Neuerungen dabei sind einfache katechetische Verbesserungen.

91 So Cuno, Tossanus I, S. 188, ohne daß aber ein äußeres Zeugnis nachgewiesen werden kann.
92 Vgl. Merkel, S. 85-90.

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