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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0083
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Einleitung

2. Die reformatorische Bewegung 1521-1529
Ulm war um 1500 politisch, wirtschaftlich und kulturell die bedeutendste Stadt in Oberschwaben. Hier
lassen sich früh Einflüsse des Humanismus und der evangelischen Lehre erkennen. Zu den ersten refor-
matorischen Predigern in Ulm gehörten die Lektoren im Franziskanerkloster, Johann Eberlin von Giinz-
burg (um 1470-1533) und Heinrich von Kettenbach († um 1525).24 Durch den Stadtarzt Dr. Wolfgang
Reichart (1485-1544),25 der Luthers Schriften sammelte und in seinem humanistisch gesinnten Freundes-
kreis verbreitete, erlebte die reformatorische Bewegung in Ulm weiteren Zulauf.
Der Ulmer Rat stand den neuen Einfliissen zunächst ablehnend gegenüber. Er publizierte das Wormser
Edikt vom April 1521 und unterstrich das Verbot von Luthers Lehre. Eberlin von Günzburg wurde im
selben Jahr wegen seiner evangelischen Predigten aus dem Franziskanerkloster ausgeschlossen und ging
nach Wittenberg, Heinrich von Kettenbach wurde 1522 der Stadt verwiesen.26 Der Ulmer Bürgermeister
Bernhard Besserer (1471-1542), der das politische Geschehen der Reichsstadt in den 1520er Jahren maß-
geblich prägte,27 verfolgte hinsichtlich der evangelischen Lehre eine zwiespältige Linie: Außenpolitisch
bemühte er sich um Anlehnung an den Kaiser als Stadtherrn, persönlich stand er der reformatorischen
Strömung jedoch aufgeschlossen gegenüber. Die evangelische Predigt wurde daher zwar in einzelnen Fällen
geduldet, der Magistrat unternahm jedoch keinerlei Initiative, die Reformation in der Reichsstadt einzu-
führen.28
1524 sahen sich Bürgermeister und Rat erstmals gezwungen, in Religionsfragen Stellung zu beziehen.
Am 25. Mai richteten vier evangelisch gesinnte Bürger ein Gesuch an den Rat,29 worin sie forderten, den
altgläubigen Predigern die Tätigkeit zu untersagen, die evangelische Predigt hingegen zu gestatten. Die
Bittschrift, die starken Rückhalt in der städtischen Bevölkerung hatte, zeigte Wirkung: Am 27. Juni
bestellte der Rat Konrad Sam (1483-1533) zum Münsterprediger.30 Sam, der aus Ulm stammte, hatte in
Tübingen und Freiburg studiert und die Universität als Lizentiat der Rechte verlassen. Seit 1513 war er als
Prediger im württembergischen Brackenheim tätig, musste als Anhänger der neuen Lehre jedoch 1524 aus
der Stadt weichen, als ihn der Ruf des Ulmer Rates erreichte. Sam stand in engem Kontakt zu Huldrich
Zwingli31 in Zürich und vertrat bis zu seinem Tod 1533 die zwinglianische Lehre in Ulm.32
Nachdem den Reichsständen auf dem Speyerer Reichstag von 1526 die Entscheidung der Religionsfrage
in eigenes Ermessen gesteht worden war, signalisierte der Ulmer Rat - gedrängt von der wachsenden Zahl
Evangelischer in seinen Mauern - immer mehr Offenheit gegenüber der neuen Lehre.

24 Specker/Weig, Einführung, S. 338 Anm. 46-49.
25 Zu Wolfgang Reichart (Rychard) siehe Reichle,
Rychard, S. 161-190; Geiger, Reichsstadt, S. 63, 65-71
mit weiterführender Literatur.
26 Im selben Jahr ließ der Ulmer Magistrat zwei weitere
evangelische Prediger verhaften, StadtA Ulm A 3530,
Ratsprotokolle Bd. 7, fol. 250v vom 6. Juli 1522; Spek-
ker/Weig, Einführung, S. 102.
27 Zu Bernhard Besserer siehe Walther, Besserer,
S. 1-69; Ernst, Besserer, S. 88-133; Specker, Ulm,
S. 111-115; ders., Gewissen, S. 41.
28 Zur vielschichtigen Situation in der Reichsstadt vor Ein-
führung der Reformation vgl. Brecht, Ulm 1530-1547,
S. 13.
29 StadtA Ulm A 3530, Ratsprotokolle Bd. 8, fol. 2v-7r;
Abschrift StadtA Ulm A [9006]; vgl. Specker/Weig,
Einführung, S. 114; Brecht, Ulm und die deutsche
Reformation, S. 100.

30 StadtA Ulm A 3530, Ratsprotokolle Bd. 8, fol. 16r, Ein-
trag vom 17. Juni und fol. 18v, Eintrag vom 27. Juni;
vgl. Specker/Weig, Einführung, S. 115f.; Specker,
Ulm, S. 108; ders., Kirchenregiment, S. 71; Breiten-
bruch, Münsterprediger, S. 409f.; Bossert, Zur Bio-
graphie des Ulmer Reformators, S. 28f.; Litz, Bekennt-
nis, S. 89f.
31 Zwingli, Briefwechsel IV, Nr. 866 vom 29. Juni 1529;
Nr. 983 vom 22. Februar 1530; Nr. 1002 vom 26. März
1530; Zwingli, Briefwechsel V, Nr. 1077 vom 18.
August 1530; Nr. 1105 vom 26. September 1530;
Nr. 1217 vom 4. Juni 1531; Nr. 1260 vom 16. August
1531.
32 Specker/Weig, Einführung S. 115; Friess, Einfluss,
S. 5-27. Zu Konrad Sam siehe Hoffmann, Sam
1483-1533, S. 233-268; ders., Sam und die Reformation,
S. 93-109; Appenzeller, Münsterprediger, Nr. 11.

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