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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (21. Band = Nordrhein-Westfalen, 1): Die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg - das Hochstift und die Stadt Minden - das Reichsstift und die Stadt Herford - die Reichsstadt Dortmund - die Reichsabtei Corvey - die Grafschaft Lippe - das Reichsstift und die Stadt Essen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2015

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https://doi.org/10.11588/diglit.30663#0129
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Einleitung

Die Kirchenordnung war bis weit über das 16. Jahrhundert hinaus in Minden gültig. In der Schrift „Der
Stadt Minden Memoriale“ vom März 1646 heißt es: „Ecclesiastica betreffend, hat die Stadt Minden ... daß
Exercitium Evangelicae Religionis eingeführet und selbiges nach ihrer Anno 1530 eigen aufgerichteter und
successu temporis verbesserter Kirchen-Ordnung continue treiben ... lassen“.48 Dieser Beschreibung zufolge
erfuhr der Text der Mindener Kirchenordnung zwischen 1530 und 1646 mehrere Revisionen oder wurde
durch separate Ergänzungen49 laufend aktualisiert. Somit besaß die Ordnung im Kern auch noch im
17. Jahrhundert Gültigkeit.50
3. Vertrag zwischen der Stadt Minden und dem Domkapitel 7. September 1535 (Text S. 146)
Nikolaus Krage, der 1530 die Kirchenordnung (Nr. 2) entworfen hatte, bestimmte die Mindener Religi-
onspolitik auch in den darauffolgenden Jahren. Gemeinsam mit dem 36er Ausschuss sorgte er dafür, dass zu
Beginn der 1530er Jahre einige Kapellen in der Stadt beseitigt und in St. Martini die Nebenaltäre sowie
Sakramentshäuschen entfernt wurden.51 Krage war ein streitbarer Prediger, der eng mit dem Bürgeraus-
schuss kooperierte und über dieses Gremium Einfluss auf den Rat nahm. Dessen Anordnung, keine eigen-
mächtigen kirchlichen Neuerungen vorzunehmen, widersetzte er sich, und 1532 schickte er sich gemeinsam
mit den 36ern sogar an, den Rat zu entmachten und an dessen Stelle den so genannten Knüppel-Rat, der
mehrheitlich aus Handwerkern bestand, einzusetzen. Dieses „Sonderregiment“ wurde von der Bevölkerung
auf Dauer jedoch nicht toleriert, und spätestens 1535 mussten die alten Verhältnisse wieder hergestellt
werden.52
Aufgrund von Krages scharfer Polemik gegen die Altgläubigen im allgemeinen und seines Umsturzver-
suchs im besonderen erhielt er im Frühjahr 1535 zunächst Kanzelverbot und wurde schließlich der Stadt
verwiesen.53 Sein Wirken in Minden und nicht zuletzt sein fanatischer Eifer gegen die Altgläubigen ent-
fachte zwischen der Bürgerschaft und dem romtreuen Klerus einen Konflikt um den altgläubigen Kultus.
Am 7. September 1535 vermittelte Bischof Franz von Waldeck (reg. 1530-1553) einen Vertrag zwischen
Domkapitel und Stadt. Der Rat versicherte, die altgläubigen Geistlichen in ihren Zeremonien und herge-
brachten Rechten nicht weiter zu beeinträchtigen und niemanden daran zu hindern, den alten Glauben zu
praktizieren. Den bisherigen Verträgen und Vereinbarungen sollte jedoch kein Abbruch geschehen, die
evangelischen Gottesdienste in den Pfarrkirchen der Stadt also ungehindert fortgeführt werden. Ferner
verpflichtete sich der Rat, dafür zu sorgen, dass die Bürger und Einwohner sämtliche Zinsen und Abgaben,
die sie dem Domkapitel und dessen Gliedern schuldig waren, auch leisteten.54
Infolge dieses Vertrags beruhigte sich nicht nur das konfessionelle Miteinander von Alt- und Neugläu-
bigen in Minden, diese Vereinbarung begründete auch, dass der Mindener Dom „als bischöfliche Kirche (bis
1648), als Kirche des Domkapitels (bis 1810) und als Pfarrkirche katholisch blieb und das Domkapitel als

48 Von Meiern, Johann Gottfried (Hg.), Acta Pacis
Westphalicae Publica. Oder Westphälische Friedens-
Handlungen und Geschichte [...] Teil 2, Hannover 1734,
S. 880.
49 Vgl. folgende Mandate: „Vermahnung, daß ein jeder Bür-
ger die Buß- und Bettage, wie auch die Sonn- und
Wochenpredigten mit den seinigen fleißig besuchen soll“
(Ratserlass vom 10. Juli 1635, KAM B 720, fol. 93); „Ver-
bot, Kindtaufen an Sonnabenden und Sonntagen zu hal-
ten“ (Ratserlass vom 23. Oktober 1635, ebd., fol. 94);
„Anordnung der sonntäglichen Kinderlehre und Katechis-
musunterweisung“ (Ratserlass vom 31. Januar 1636, ebd.,
fol. 95); „Buß- und Bettage-Ordnung“ (Ratserlass vom
30. Oktober 1646, ebd., fol. 96).

50 Vgl. Nordsiek, Glaube und Politik, S. 104 Anm. 26.
51 Nordsiek, Anfänge, S. 68, 74-81.
52 Nordsiek, Anfänge, S. 85; Ehbrecht, Form und
Bedeutung, S. 148; ders., Verlaufsformen, S. 41f.
53 Brecht, Reformation, S. 35f.; Schröer, Reforma-
tion 2, S. 284f., 289f.; Stupperich, Entstehungsge-
schichte, S. 40; ders., Geistige Strömungen, S. 207;
Nordsiek, Von Lüchow, S. 62-64; Rothert, Kirchen-
geschichte, S. 24-27; Ehbrecht, Form und Bedeutung,
S. 149.
54 Minden 1530, S. 30, Nr. 30; von Schroeder, Stadt-
recht, S. 317 Nr. 178; Goeters, Kirchenordnungen,
S. 133.

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