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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (5. Band): Livland, Estland, Kurland, Mecklenburg, Freie Reichsstadt Lübeck mit Landgebiet und Gemeinschaftsamt Bergedorf, das Herzogthum Lauenburg mit dem Lande Hadeln, Hamburg mit Landgebiet — Leipzig: O.R. Reisland, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.27083#0037
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Dorpat.

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„De drudde weke“, und T. Christiani, Matthias Kempf, Pastor in der ersten Russen- und Polen-
zeit Dorpats, in Sitzungsberichten der Gelehrten Estnischen Gesellschaft zu Dorpat. 1910,
S. 78, 91.) Erst 1554, nach langen Verhandlungen, wurde der Pastor zu St. Marien gewählt
und seine allerdings nicht sehr bedeutsamen Befugnisse geregelt.
Die Wahl dieses Ober-Pastors ist so lehrreich für die gesamte kirchliche Verfassung
Dorpats, dass sie hier nach den Quellen dargestellt wird.
In erster Linie waren es die Geistlichen, welche einen „obersten Pastor“ erstrebten; viel-
leicht, weil es ihnen beschwerlich erschien, lediglich unter dem Rathe und den Gilden, also
unter einem Laien-Regiment, zu stehen; oder weil sie unter einer einheitlichen Spitze ge-
schlossen dem Rathe besser gegenübertreten zu können glaubten, auch die Macht des Her-
kommens mag mitgewirkt haben. Vielleicht hofften sie auch, dass das geistliche Oberhaupt
diejenigen Ordnungen erlassen würde, die jetzt der Rath erliess, — wobei sie aber übersahen,
dass die Verhältnisse der Geistlichkeit in der neuen Kirche der Obrigkeit gegenüber ganz anders
lagen, als wie in der bisherigen Kirche. Eine gewisse Stütze für ihre falsche Beurteilung der
Dinge fanden sie wohl in gewissen Vorgängen; so ist es der Rath, der die erste grössere Ver-
ordnung nur als eine provisorische erlassen will, bis der oberste Pastor ernannt sein werde.
Aus dieser Formulirung ist jedoch nicht zu folgern, dass der Rath etwa gesonnen gewesen wäre,
dem Pastor das Verordnungsrecht zu übertragen, und es ist auch später thatsächlich nicht ge-
schehen; wie sollte der einfache Pastor auch in die Lage gekommen sein, Befehle mit zwingender
Gewalt zu erlassen, ohne Mitwirkung des Rathes. Vielleicht hat daher die Wendung im Be-
schlusse des Rathes, „bis zur Erwählung des obersten Pastors“, nur zeitliche Bedeutung.
Wie dem auch sei, wiederholt petitioniren die Geistlichen um ein solches Oberhaupt. So
heisst es im Prot. cons. 1554, Juli 14 (Bl. 447 b): „Johann Crispinus (d. i. der eine Predikant)
hedde bei dem wortholdenden burgermeister noch anregung gedan einen Pastoren zu verordnen“.
Am 4. August 1554 (Prot. cons. Bl. 448 b) heisst es: „Die Olderslude aus beiden Gilden mit
iren beisitzern und zuverordneten wurden eingefurdert. Dann wardt vorgegeben, das durch
kirchendiener zu oft und vilemalen anregung gethan, um einen Pastoren zu verordnen, dan
sie sich des kirchlichen regiments glat nicht dechten zu bekumeren etwas zu verordenen“. Der
Rath nimmt zu diesen Anträgen eine abwartende Stellung ein. So wurde am 4. August 1554
beschlossen, die Angelegenheit zunächst bis zur Rückkehr des Pastors Fegesack (des einzigen
damals in Dorpat vorhandenen Pastors oder Pfarrers, s. oben S. 20) zu vertagen; dann wolle man alle
Kirchendiener zusammen berufen lassen, ob man sie nicht beschwichtigen könne, sich noch
einige Zeit ohne Pastoren zu gedulden; wenn das aber nicht zu erreichen sei, wolle man sich
mit ihnen darüber berathen. Am 22. September kam die Frage des Kirchenregiments erneut
auf die Tagesordnung, als Fegesack zurückgekehrt war. Der Rath berief die Vertreter der
beiden Gilden, trug ihnen vor, dass in dem Kirchenregiment Unrichtigkeiten vorhanden seien,
wie auch die Kirchendiener wiederholt um einen Pastoren gebeten hätten; man wolle deshalb
die Meinung der Geistlichen hören. Als der einberufene Pastor zu St. Johannis samt allen
Predikanten und Kirchendienern erschienen waren, wurde ihnen eröffnet, dass die Verordneten
des gemeinen Kastens einige Gebrechen vorgetragen hätten, welche die Kirchendiener bei ihnen
vorgebracht hätten. Der Rath wäre geneigt, diese Gebrechen jetzt mit den Geistlichen zu
erörtern, ausserdem die Frage des Pastors.
Fegesack erklärt darauf im Namen aller, dass sie auf die Verhandlung der „Gebrechen“
nicht vorbereitet wären. Wenn sie gewusst hätten, dass diese jetzt verhandelt werden sollten,
hätten sie sie schriftlich eingebracht. Die Verordnung eines Pastoren liessen sie sich gefallen.
Darauf wurden sie und „beider gilden gemeinte“ entlassen. Der Rath beschloss sodann, mit
allem möglichen Fleisse die Kirchendiener anzuhalten, von der Verordnung eines Pastors ab-
zusehen, denn es wäre offenbar, dass, seitdem kein verordneter Pastor vorhanden gewesen wäre,
 
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