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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0273
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In der Folgezeit wurde die Stadt in zwei Pfarrbezirke eingeteilt, die man den beiden Stadtkirchen zu-
ordnete 82. Das Pfarrbesetzungsrecht blieb zunächst in der Schwebe; das Domkapitel scheint nicht ener-
gisch darauf gedrungen, nur einige Vikarien an den Stadtkirchen festgehalten zu haben 83. 1562 erwiderte
der Rat auf die Ermahnung des Bischofs, das Domkapitel bei seinem Pfarrbesetzungsrecht an den Stadt-
kirchen zu belassen, vorsichtig ausweichend 84. Die älteste erhaltene Bestallungsurkunde für St. Kathari-
nen 1570 ist jedoch im Namen des Rates und der Kirchräte ausgestellt; vorher hatte eine Wahlpredigt
stattgefunden. 1596 ff. war dann auch der Superintendent an der Pfarrbesetzung beteiligt 85. Die Stadt-
kirchen wurden aus Mitteln der Stadt unterstützt 86.

In der Domschule sah sich das Domkapitel, sollte sie nicht ganz verfallen, genötigt, der Stadt weit
entgegenzukommen. Schon 1552 wurde der lutherische Christian Sleibing, der früher in der Ratsschule
als Nachfolger Sandfurts das Rektorat innegehabt hatte 87, zum Rektor berufen 88. Trotz mancher Schwie-
rigkeiten von katholischer Seite blieben Bürgerschaft und Kapitel im allgemeinen bis 1568/70, dann bis
1575 und nach abermaliger Einigung bis in die 90er Jahre des Jh.s über die Domschule im Einverneh-
men. Mit den Schülern wurden evangelische Schriften, darunter der Katechismus des Rhegius 89, der des
Chytraeus 90 und sogar der Kleine Katechismus Luthers gelesen 91. Zwei evangelische Lehrer überwachten
82 Vgl. Stüve, Stadtverfassung, 111.

83 Vgl. Stüve, Stadtverfassung, 112. - Anläßlich des Schulstreites wurdespäterverschiedentlichbezeugt, daß der
Rat die Diener des göttlichen Wortes ein-und im Notfall abgesetzt habe; vgl. z. B. Staats-A. Osn. Rep. 100 Abschn. 355
Nr. 1, Bl. 3; ebd. Dep. 3b IV Fach 57 Nr. 2, besiegeltes Schriftstück des Richters Fredeleff, Artikel 17; ebd. Rep.
100 Abschn. 35 Nr. 5. 84 Vgl. C. Stüve, Hochstift II, 194.

85 Vgl. Staats-A. Osn. Dep. 3 a 1 V B Nr. 88c 1 u. 2 (Bestallung des Andreas Dithmarus [vgl. unten S. 244] vom

29. August 1570); W. Schäfer, 31f.; unten S. 292. 86 Vgl. Stüve, Stadtverfassung, 112.

87 Christian Sleibing, aus Freckenhorst im Münsterschen gebürtig, früh lutherisch, vor 1540 erst Lehrer an der Jo-
hannisschule zu Osnabrück (vgl. oben S. 239, Anm. 66), danach Rektor an der Domschule, 1540 Rektor in Hanno-
ver, dann Prediger dort, 1544 zu Studienzwecken in Wittenberg. Das Rektorat an der Barf üßerschule in Osnabrück
legte er 1548 nieder, um eine Predigerstelle an der Johanniskirche (so nach H. Hamelmann, 1137; auch
D. Chytraeus, 400. Th. Röling, 62ff., bezweifelt die Richtigkeit dieser Angabe und will statt „St. Johann“
„St. Marien“ setzen) zu übernehmen, wurde dort infolge des Interim abgesetzt und ging bald darauf als Rektor
nach Herford. Das ihm 1552 übertragene Rektorat der Osnabrücker Domschule gab er nach einiger Zeit auf und
wandte sich nach Bremen, übernahm 1558 noch einmal das Rektorat der Domschule, wurde 1562 Prediger an der
St. Katharinenkirche, legte dieses Amt nieder und erhielt die Superintendentur (vgl. unten S.242), die er jedoch
bald wieder aufgab. † 1568. Vgl. K. Lodtmann, Geschichte, 121f.;J. Ch. Strodtmann, 4f.8f. 11f.;F. Runge,
Ratsgymnasium, 7f. 15; J. Jaeger, 27ff.; L. Hoffmeyer, Chronik I, 76. 84f.; bes. P. Bahlmann, Allgem.
deutsche Biographie 34 (1892), 452ff.; Ph. Meyer, Pastoren I, 417. II, 237, u. neuerdings W. Schäfer, 24ff
(z. T. mit neuen Untersuchungsergebnissen).

88 Vgl. auch Th. Röling, 92f.; Hartmann, Rathsgymnasium, 2f.

89 Zu Rhegius vgl. oben S. 226, Anm. 56. Rhegius schrieb Catechismus minor puerorum 1535 und Catechesis 1540
oder 1541; vgl. RE 3 10, 141, Zeile 33; K. Knoke, Die deutschen luth. Katechismen in den braunschweig-han-
noverschen Landen während des 16. Jhs., in: ZnKG 6 (1901), 109f.; bes. J. M. Reu I, 3, 1, 2, 828*ff.; F. Hahn,
Die ev. Unterweisung in den Schulen des 16. Jh.s (Pädag. Forschungen. Veröffentl. d. Comenius-Instituts 3). 1957,
73f.

90 David Chytraeus (geboren 26. Februar 1531 zu Ingelfingen, in Tübingen gebildet, 1544 als Magister in Witten-
berg intituliert, Haus- und Tischgenosse Melanchthons, eine Zeitlang in Heidelberg, 1547 wieder in Tübingen, 1548
in Wittenberg, wo er Vorlesungen u. a. über Melanchthons „Loci“ [vgl. oben S. 226, Anm. 53] hielt; seit 1550
Lehrer am Pädagogium in Rostock, gleichzeitig für die Ausgestaltung des evangelischen Kirchenwesens in Mecklen-
burg tätig, zwischendurch mit der Ordnung der evangelischen Kirche in Niederösterreich und Steiermark beauf-
tragt, Verfasser u. a. des von uns oft zitierten Chronicon Saxoniae, † 1600), Catechesis 1554, in vielen Ausgaben
lange Zeit verbreitet und für Universitäten, Gymnasien und Volksschülen empfohlen, von Melanchthons „Loci“
beeinflußt; vgl. G. Loesche, RE 3 4, 112ff.; vgl. auch RE 3 10, 141, Zeile 36; G. Loesche-H. Liebing, RGG 3 I,
1823; E. Wolf, Neue deutsche Biographie III (1957), 254; F. Hahn, aaO. 71f.; Sehling V, 143ff.

91 Vgl. das besiegelte Schriftstück des Richters Fredeleff zum Schulstreit 1597, Art. 19, im Staats-A. Osn.: Dep. 3b IV
Fach 57 Nr. 2. Dort ist angegeben, daß diese Schriften von 1552-1595 in der Domschule gelesen seien, und
zwar mit Wissen und Duldung der Kapitulare. Vgl. auch Hartmann, Rathsgymnasium, 2f.; J. M. Reu
I, 3, 1, 2, 1043*. Ein zum Schulstreit gehörter Zeuge erklärt, in der Domschule zu Christian Sleibings Zeiten
Luthers Katechismus deutsch lesen, allerdings nicht auswendig gelernt zu haben; vgl. Staats-A. Osn. Rep. 100
Abschn. 355 Nr. 4, Bl. 2. In den Bestallungsurkunden für Sleibing von 1552 bzw. 1558 heißt es dagegen, er möge

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