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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0532
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Grafschaft Ostfriesland

swernissen vorkamen, de so geschapen und bekant
geworden, dat se na der vorschrift Christi, Math. 18
[15ff.], der gemeine vortobrengen und dorch private
vormaningen, so van einem allein edder in bysyn der
getügen gescheen, nicht hebben können gebeteret
werden, werd darup ummegefraget, wo desülve
wechtonehmen und am allerbequemesten bytoleggen
und to beteren syn möchten 95. Und wat also einhel-
lich beslaten, werd einem prediger mit einem edder
twen oldesten edder den oldesten allein (na gelegen-
heit der saken und person, mit welcker der erger-
nisse halven, so in der lehre edder levend begangen,
to handlen) van dem praeside uperlecht und im na-
men der ganzen vorsamlinge to vorrichten befah-
len, unde wat ehnen darup begegenet, tom nechsten
wedder intobrengen. Dar sick dann befindet, dat der
gefallene broder edder süster de vormaninge güdt-
lick angenahmen, werd erkündiget, effte ock de ge-
gevene ergernisse so wydt gekamen, dat se nicht
privatelick, ahne vorstellinge in der gemeine, möge
wechgenahmen werden, und folgends so gehandlet,

alse idt der gemeine und ock dem gefallenen am er-
boulichsten erachtet werd, dewyle der Herr, alse Pau-
lus secht, syner kercken macht gegeven hefft to 2. Cor. 13 [10]
beteren unde nicht to vorderven.

Im fall averst solcke bröderlicke vormaninge ba-
ven hopninge vorachtet werd, bescheiden se, de vor-
gemelte vorordenten des consistorii, den halstarrigen
vor de ganze vorsamlinge, dar he dann avermals
truwhartich und ernstlick tor erkentnüß unde aff-
stand van syner sünd unde ergernüß vormahnet unde
gebeden werd. Unde so he dardorch sick bewegen let,
werd he getröstet, syne bohte geproevet unde vo-
riger gestalt geratslaget, wo de ergernisse am fög-
lichsten wechtonemende. Welckes, so idt privatelick
nicht kan gescheen, werd de botferdige by dem disch
des Heren dorch den dener vorgestellet und der
ganze gemeine syn leedwesen mit hertlicker froude
kundgedan, mit vormeldunge, soferne nene nye be-
swernisse ingewendet, dat he to der negesten com-
munion wedder togelaten scholle werden 96.

So ock dargegen de gefallene in syner halstar-

95 Zum Anfang evangelischer Kirchenzucht in Emden
vgl. Einleitung, oben S. 323 mit Anm. 5-7. Schon
der Bericht Fabers läßt die Berücksichtigung des
Unterschiedes zwischen heimlicher und offenbarer
Sünde erkennen. Doch hier wie auch in unserer KO
fehlt die klare Normierung zweier Verfahrensarten,
einmal eines heimlichen, dann eines öffentlichen
Strafprozesses, wie z. B. Microns Ordinancien (cap.
XXff., unten S. 639ff.) sie aufweisen, bzw. ist der
heimliche Strafprozeß nur angedeutet. Ebenso sind
im Unterschied zu Microns Ordinancien die Prozesse
der öffentlichen Buße und des Bannens nicht streng
gesondert behandelt, sondern kontinuierlich in den
Gesamtrahmen der Kirchenzucht gestellt. Auch hier
bietet die Emder KO nicht ein Schema, sondern ist
Niederschlag geübter Praxis, für die die Kirchen-
ratsprotokolle von Anfang an das Anschauungsmate-
rial liefern. Die bei Micron bezeichneten vier Staffeln
im öffentlichen Verfahren (1. Vermahnung im Kir-
chenrat, 2. öffentliche Buße, 3. Ausschluß aus der
Gemeinde, 4. Wiederaufnahme) lassen sich im Prin-
zip aber auch für Emden herausschälen, wenn die KO
die Wiederaufnahme — offenbar kam sie kaum vor, da
man auch nur im äußersten Falle zum völligen Aus-
schluß schritt — auch nicht behandelt. — Daß die Kir-
chenzucht im Leben der Emder Gemeinde einen so
breiten Raum einnimmt, entspricht der Lehre, wie sie
im Emder Katechismus von 1554 festgelegt ist: Mach
ock de rechte ware gemene Christi wol uterlick be-
kant werden, effte se schön in der ganzen werlt ver-
strouwet is? Antwort. Godt de Here hefft in syner
kercken einen sekeren denst verordent, alse de reyne

predige des hilligen godtlicken wördes, den rechten
gebrück der hilligen sacramenten unde de uterlicken
kerckentucht. Welcken denst de ware christlicke ge-
mene stedes underholdet, soverne alse se den recht
unde reyn hebben unde averkamen kan, unde wert
dorch densulven van allen godtlosen versamlingen
affgesundert (A. Kuyper II, 523). Die Kirchen-
zucht wird dann ausführlich im Anschluß an die
Sakramente behandelt und erhält selbst nahezu
Sakramentscharakter; der ganze Komplex erscheint
im Zusammenhang mit dem dritten Artikel (Kuy-
per II, 523ff. 533ff.). Zum Londoner Vorbild s.
unten S. 562 f. - Zu den Problemen der Kirchenzucht
in Emden (Lehrzucht-Lebenszucht) im allgemeinen
s. J. Weerda II, 167ff. (mit Hinweis auf einen ge-
planten dritten Teil seiner Untersuchung über den
Emder Kirchenrat und seine Gemeinde, in dem die
Kirchenzucht ausführlicher behandelt werden soll).

96 Die Kirchenratsprotokolle zeugen von Zucht-
verfahren dieser und ähnlicher Art, wobei sich, je
nach der Lagerung des Falles, eine ganze Skala fein-
ster Unterschiede im Verfahren und gegebenenfalls
in der Publikationsformel ergibt, unter Differenzie-
rung der vier Hauptstaffeln. Z. B. wurde am 12. Fe-
bruar 1591 über den Schulmeister M. Wolter (ge-
nannt in der Schulordnung von 1582, unten S. 514)
wegen grober Sünde Beschwerde geführt. Zwei Älte-
ste wurden beauftragt, ihn für den kommenden Mon-
tag vor den Kirchenrat zu bescheiden. Unter dem
15. Februar ist protokolliert, Wolter sei erschienen
„und wydtlopich hartgrondelick vermanet worden...
Soe hefft he sick woll willen entschuldigen, overst

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