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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0601
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Wie schon erwähnt, kannte die Londoner Gemeinde eine Einrichtung, die den Namen „Prophezei“ erhalten
hatte. Eine ebenfalls „Prophezei“ benannte gottesdienstliche Institution hatte Zwingli bereits am 19. Juni 1525 am
Großmünster in Zürich eröffnet 34. Näheres über die Gestaltung der Prophezei in Zürich erfahren wir aus den Berich-
ten der daran Beteiligten 35 und aus der Züricher KO von 1535 36; danach handelt es sich um eine Lesung des AT an-
statt der Prim, Terz und Sext in verschiedenen Sprachen, gegebenenfalls mit anschließender Übersetzung ins Latei-
nische, und Erklärungen, zum Schluß auch einer Übersetzung des Gelesenen und Erklärten ins Deutsche. Das Ganze
war im wesentlichen ein Gottesdienst bzw. eine Arbeitsgemeinschaft der Gelehrten. In der Londoner niederländischen
Gemeinde dagegen war die Prophezei ein in den Donnerstagsgottesdienst eingeschobenes Gespräch über die letzten
Predigten zwischen Predigern und Gemeinde, wobei die Anliegen der Gemeinde durch eine Kommission aus Ältesten,
Diakonen und dafür ausgewählten Gemeindegliedern vorgebracht wurden. Im Grunde handelt es sich bei der Züricher
Prophezei der Gelehrten und der Londoner Donnerstagsprophezei also um verschiedene Einrichtungen, die nur den
Namen gemeinsam haben. Eher erinnern die bereits 1551 erwähnten lateinischen Vorlesungen a Lascos und eines
seiner Kollegen über die Schrift mit anschließender Diskussion an die Institution in Zürich 37. Zu den lateinischen
Vorlesungen selbst kann a Lasco aber auch durch das Hamburger Vorbild angeregt worden sein; denn auf Grund der
Hamburger KO von 1529 gehörten die lateinischen Wochenlesungen zu den vornehmsten Aufgaben des Superinten-
denten und seines Adjutors 33. Auch die KO der Stadt Bremen von 1534 sah, teils nach Hamburger Vorbild, ent-
sprechende Lesungen vor 39. In beiden Städten hatte sich a Lasco zeitweise aufgehalten 40. Micron hat die lateinischen
Vorlesungen übrigens gar nicht erwähnt; nur a Lasco schreibt darüber in der Forma ac ratio 41. — Erwähnt sei auch
noch die ebenfalls nur bei a Lasco angeführte sog. Dienstagsprophezei der wallonischen Gemeinde 42, die wiederum
einen anderen Typ der Prophezei darstellt. In Anwesenheit der Gemeinde versammeln sich nach der Frühbetstunde
die Prediger, Ältesten und ein dazu bestimmtes Gremium weiterer Gemeindeglieder im Altarraum. Einer aus dieser
Versammlung, der jeder der drei Gruppen angehören kann, liest im Rahmen kontinuierlicher Schriftlesung einen
Text und fügt eine Erklärung hinzu, worauf die übrigen der Reihe nach das Wort erhalten, um Ergänzungen anzu-
bringen, bis niemand mehr etwas hinzuzufügen hat. Dann wird mit Psalmengesang und Gebet geschlossen. Auch diese
Prophezei in gemeinverständlicher Sprache unter aktiver Beteiligung von Gemeindegliedern unterscheidet sich grund-
legend von der Züricher Gelehrtenprophezei. Bellardi weist auf ihre Verwandtschaft mit Calvins Kongregationen,
erbaulichen Bibelbesprechungen unter Mitwirkung von Laien, hin 43. — Die uns im Rahmen der Londoner nieder-
ländischen und der Emder Gemeinde allein beschäftigende Donnerstagsprophezei muß doch wohl als eine weithin selb-
ständige Schöpfung a Lascos angesehen werden, zu der Bucers Gemeinschaftskatechismus vielleicht mit angeregt und
Zürich den Namen geboten hat. — Möglicherweise hat a Lasco auch die Erinnerung an eigenes Erleben, nämlich an die
häuslichen Bibel- und Glaubensbesprechungen eines kleinen evangelischen Kreises, mit dem er in seiner Löwener Zeit
in Berührung gekommen war, mit zur Einrichtung der Prophezei bewogen, vielleicht auch die Kenntnis von den be-
sonders bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben gepflegten Kollationen, erbaulichen Ansprachen, die gelegentlich
durch Frage und Antwort unterbrochen wurden oder mit längeren Unterredungen wechselten, und mit denen man sich
an Sonn- und Festtagen auch an das Volk wandte 4 3a.

34 Vgl. Heinrich Bullingers Reformationsgeschichte, hrsg. von J. J. Hottinger und H. H.Voegeli I. Frauenfeld
1838, 290; auch CR 91, 365; F. Schmidt- Clausing, 67f.; O. Farner, 554.

35 Mitteilungen bei O. Farner, 554ff.

38 CR 91, 701jf.; F. Schmidt-Clausing, 142f. 37 So auch W. Bellardi, 116.

38 Sehling V, 501. ' 39 Sehling VII, 2.

10 In Hamburg im April 1549 und wieder im April 1550 (vgl. A. Kuyper II, 622f. 637ff.); in Bremen nach seiner
Entlassung als Superintendent von Ostfriesland seit Oktober 1549 bis zum Frühjahr 1550 (Kuyper II, 633ff.).
Vgl. auch H. Dalton, a Lasco, 312ff.; O. Bartel, 166.

41 A. Kuyper II, 105.- A Lasco bemerkt dabei: Sed quoniam huiusmodi praelectiones non proprie pertinent ad
peregrinorum ecclesias, neque certum est, eas ita semper observari posse, non existimavimus illas in parte aliqua
publici verbi ministerii in ecclesiis ponendas esse.

42 A. Kuyper II, 104f.; vgl. F. de Schickler, 47f.

43 W. Bellardi, 114. 116. Vgl. auch A. A. v. Schelven, Vluchtelingenkerken, 90; Kerkeraads-Protocollen, 13,
Anm. 1. - Zur Kongregation in Genf s. Ordonnances ecclesiastiques 1541 (CR 38, 1, 18; COpp II, 332).

43a Die Bibel- und Besprechungsabende evangelisch gesonnener Löwener Bürger schildert H.Dalton, a Lasco, 189ff.
Dalton führt diese Privatzusammenkünfte auf die durch das Wirken der Brüder vom gemeinsamen Leben herr-
schend gewordene Geistesrichtung zurück. Sonst war a Lasco besonders durch seine Freundschaft mit Hardenberg
(vgl. oben S. 324. 435, Anm. 12) mit dem Geist der Brüder vom gemeinsamen Leben vertraut geworden. Zusammen-
hänge zwischen den Ordnungsformen der ostfriesischen Reformatoren Georg Aportanus und Hinne Rode, die
beide ausHäusern der Brüder vomgemeinsamenLeben kamen (vgl. oben S. 312f. mit Anm. 8; S. 313 mit Anm. 11),
und a Lascos sind aus Mangel an Quellen kaum faßbar, obwohl sie als möglich angesehen werden müssen (zu er-
innern ist an die Tisch[sitz?]ordnungen, die Aportanus und Rese beim Abendmahl hielten [vgl. oben S. 315 mit
Anm. 31], und ihre denkbaren Verbindungslinien zur Londoner Tischsitzordnung, auch an den möglichen Zu-
sammenhang zwischen den Ordnungsformen des Aquilomontanus, dessen Herkunft unbekannt ist, der aber in dem-
selben Geist gewirkt hat wie Aportanus und Rode, und der Londoner KO; hinzuweisen ist auch auf die Lesung von

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