Microns Ordinancien (1554) 1565
Cap. IX.
Von der ordnung d der predigt
und gemeinen gebett 57. |
f. 25 Wenn nu die gemeind auf ein gewisse stund ver-
samlet ist, so steigt der diener auf die kanzel und ver-
manet die gemeine anfenglich zum gebet mit disen
oder dergleichen worten:
Dieweil ihr christliche brüder hie versamlet seit 58,
auß dem wort Gottes euwer seelen seligkeit zu ler-
nen, so lasset uns vor allem den Herren umb seine
götliche gnade (one welche wir gar nichts vermögen)
anruffen, auf daß ich nichts vorbringe denn nur die
reine lehre des götlichen worts, und daß ihr auch
dasselbige hören möget zur befürderung euwer
seligkeit.
Das gebett vor der predigt.
a Psal. 19 [8] O Herr Gott, ehimlischer Vater, (a) welches gesetz
vollkommen ist und die seelen bekeret, ein war-
haftig zeugnuß, welches den ungelerten weißheit
gibt und die augen erleuchtet, wir bitten dich de-
mütiglich, du wollest durch deine unendliche güte
unseren blinden verstand mit deinem heiligen Geist
Cap. IX d) N + en de wyse e) N <Herr Gott,>
f) N <und geringen>
57 Diese Ordnung des Wortgottesdienstes ist für London
schon in der Forma precum von 1550/1551 (A. Kuy-
per II, 334-339) beschrieben; vgl. oben S. 557 f.
mit Anm. 32. Wir verweisen im folgenden im all-
gemeinen nur summarisch auf die Übereinstimmun-
gen der einzelnen Absätze mit denen dieser Ordnung,
sowie mit denen der Forma ac ratio, sofern sich grö-
ßere Übereinstimmungen mit dieser als mit der Ord-
nung von 1551 ergehen. „A. Kuyper“ wird im fol-
genden abgekürzt: K. — Als Quelle dürfte letzten
Endes hauptsächlich der mittelalterliche Predigt-
gottesdienst anzusehen sein, der hier jedoch fort-
bzw. umgebildet ist; vgl. oben S. 566 ff.
58 Die Form der Anrede hat die Forma ac ratio (K. II,
82), während die Forma precum (K. II, 334) die
erste Person Pluralis hat.
59 Forma precum: quo legem tuam recte intelligamus
cognitamque factis diligenter exprimamus (K. II,
334). Forma ac ratio: ut legem sanctam tuam et recte
intelligere et intellectam exprimere etiam per om-
nem vitam nostram possimus (K. II, 82). Das Wort
„bekennen“ des hochdeutschen Textes ist aus dem
niederländischen Text übernommen. Der Sinn ist
erleuchten, daß wir dein gesetz aufrichtig verste-
hen, bekennen und darnach leben mögen 59. Und
nachdem es dir, o allergütigster Vater, gefallen hat,
(a) die geheimnuß deines willens allein den kleinen a Matt. 11 [25]
und geringen f60 zu offenbaren, (b) und daß du allein b Esai. 66 [2]
acht hast auf diejenigen, so eines demütigen und
zerbrochnen geistes sind und die forcht deines
worts haben, gib uns einen demütigen geist und
treibe von uns alle fleischliche weißheit, (c) welche c Rom. 8 [7]
ein feindschaft wider dich ist. Wollest auch zum
rechten wege bringen, die noch von der warheit ir-
ren, auf daß wir alle eintrechtig (d) dir dienen in hei- d Luc. 1 [74 f.]
ligkeit und gerechtigkeit alle die tage unsers lebens. |
Diß bitten wir von dir, o allerbarmherzigster f. 26
Vater, in dem namen 61 unsers Herren und selig-
machers Jesu Christi, wie er uns zu betten geleret
hat 62.
Unser Vater, der du bist in den himeln.
Dein name werde geheiliget.
Dein reich komme.
Dein will geschehe auf erden wie im himmel.
Unser täglich brot gib uns heute.
Und vergib uns unser schuld, wie wir unsern
schuldigern vergeben.
Und füre uns nit in versuchung.
im Mittelniederländischen (ebenso wie im Mittel-
niederdeutschen) häufig: erkennen; vgl. E.Verwijs
und J.Verdam, Middelnederlandsch Woordenboek I
(1885), 778ff. Auch sonst in unserer KO ist das nie-
derländische Wort „bekennen“ im hochdeutschen
Text oft einfach beibehalten.
60 Forma precum: ut parvulis duntaxat (K. II, 334);
Forma ac ratio: ut parvulis potissimum (K. II, 83).
61 „per nomen“ steht nur in der Forma ac ratio (K. II,
83).
62 Im allgemeinen entspricht die Fassung des Gebetes
der der Forma precum. Ähnlichkeit zeigt das Gebet
mit den beiden Gebeten, die nach Calvins Straß-
burger Liturgie der Predigt vorangehen, wobei das
erste vom Tisch aus, das zweite nach einem Gesang
der Gemeinde von der Kanzel gesprochen wird (CR
34, 174f.; COpp II, 19f.). Besonders das erste der
Straßburger Gebete, das in etwas abgewandelter
Form auch bei Poullain steht (Liturgia sacra, Bl. 2),
und auf den von der Gemeinde gesungenen Dekalog
ausgerichtet ist, ist der ersten Hälfte unseres Gebe-
tes verwandt. Dieses wiederum wurde vorbildlich
für das dem Emder Katechismus von 1554 beigege-
bene erste Gebet zur Katechismuspredigt (vgl. oben
S. 487, Anm. 31), das die Lütetsburger KO dann
ebenfalls vorsieht (oben S. 541 mit Anm. 35).
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Cap. IX.
Von der ordnung d der predigt
und gemeinen gebett 57. |
f. 25 Wenn nu die gemeind auf ein gewisse stund ver-
samlet ist, so steigt der diener auf die kanzel und ver-
manet die gemeine anfenglich zum gebet mit disen
oder dergleichen worten:
Dieweil ihr christliche brüder hie versamlet seit 58,
auß dem wort Gottes euwer seelen seligkeit zu ler-
nen, so lasset uns vor allem den Herren umb seine
götliche gnade (one welche wir gar nichts vermögen)
anruffen, auf daß ich nichts vorbringe denn nur die
reine lehre des götlichen worts, und daß ihr auch
dasselbige hören möget zur befürderung euwer
seligkeit.
Das gebett vor der predigt.
a Psal. 19 [8] O Herr Gott, ehimlischer Vater, (a) welches gesetz
vollkommen ist und die seelen bekeret, ein war-
haftig zeugnuß, welches den ungelerten weißheit
gibt und die augen erleuchtet, wir bitten dich de-
mütiglich, du wollest durch deine unendliche güte
unseren blinden verstand mit deinem heiligen Geist
Cap. IX d) N + en de wyse e) N <Herr Gott,>
f) N <und geringen>
57 Diese Ordnung des Wortgottesdienstes ist für London
schon in der Forma precum von 1550/1551 (A. Kuy-
per II, 334-339) beschrieben; vgl. oben S. 557 f.
mit Anm. 32. Wir verweisen im folgenden im all-
gemeinen nur summarisch auf die Übereinstimmun-
gen der einzelnen Absätze mit denen dieser Ordnung,
sowie mit denen der Forma ac ratio, sofern sich grö-
ßere Übereinstimmungen mit dieser als mit der Ord-
nung von 1551 ergehen. „A. Kuyper“ wird im fol-
genden abgekürzt: K. — Als Quelle dürfte letzten
Endes hauptsächlich der mittelalterliche Predigt-
gottesdienst anzusehen sein, der hier jedoch fort-
bzw. umgebildet ist; vgl. oben S. 566 ff.
58 Die Form der Anrede hat die Forma ac ratio (K. II,
82), während die Forma precum (K. II, 334) die
erste Person Pluralis hat.
59 Forma precum: quo legem tuam recte intelligamus
cognitamque factis diligenter exprimamus (K. II,
334). Forma ac ratio: ut legem sanctam tuam et recte
intelligere et intellectam exprimere etiam per om-
nem vitam nostram possimus (K. II, 82). Das Wort
„bekennen“ des hochdeutschen Textes ist aus dem
niederländischen Text übernommen. Der Sinn ist
erleuchten, daß wir dein gesetz aufrichtig verste-
hen, bekennen und darnach leben mögen 59. Und
nachdem es dir, o allergütigster Vater, gefallen hat,
(a) die geheimnuß deines willens allein den kleinen a Matt. 11 [25]
und geringen f60 zu offenbaren, (b) und daß du allein b Esai. 66 [2]
acht hast auf diejenigen, so eines demütigen und
zerbrochnen geistes sind und die forcht deines
worts haben, gib uns einen demütigen geist und
treibe von uns alle fleischliche weißheit, (c) welche c Rom. 8 [7]
ein feindschaft wider dich ist. Wollest auch zum
rechten wege bringen, die noch von der warheit ir-
ren, auf daß wir alle eintrechtig (d) dir dienen in hei- d Luc. 1 [74 f.]
ligkeit und gerechtigkeit alle die tage unsers lebens. |
Diß bitten wir von dir, o allerbarmherzigster f. 26
Vater, in dem namen 61 unsers Herren und selig-
machers Jesu Christi, wie er uns zu betten geleret
hat 62.
Unser Vater, der du bist in den himeln.
Dein name werde geheiliget.
Dein reich komme.
Dein will geschehe auf erden wie im himmel.
Unser täglich brot gib uns heute.
Und vergib uns unser schuld, wie wir unsern
schuldigern vergeben.
Und füre uns nit in versuchung.
im Mittelniederländischen (ebenso wie im Mittel-
niederdeutschen) häufig: erkennen; vgl. E.Verwijs
und J.Verdam, Middelnederlandsch Woordenboek I
(1885), 778ff. Auch sonst in unserer KO ist das nie-
derländische Wort „bekennen“ im hochdeutschen
Text oft einfach beibehalten.
60 Forma precum: ut parvulis duntaxat (K. II, 334);
Forma ac ratio: ut parvulis potissimum (K. II, 83).
61 „per nomen“ steht nur in der Forma ac ratio (K. II,
83).
62 Im allgemeinen entspricht die Fassung des Gebetes
der der Forma precum. Ähnlichkeit zeigt das Gebet
mit den beiden Gebeten, die nach Calvins Straß-
burger Liturgie der Predigt vorangehen, wobei das
erste vom Tisch aus, das zweite nach einem Gesang
der Gemeinde von der Kanzel gesprochen wird (CR
34, 174f.; COpp II, 19f.). Besonders das erste der
Straßburger Gebete, das in etwas abgewandelter
Form auch bei Poullain steht (Liturgia sacra, Bl. 2),
und auf den von der Gemeinde gesungenen Dekalog
ausgerichtet ist, ist der ersten Hälfte unseres Gebe-
tes verwandt. Dieses wiederum wurde vorbildlich
für das dem Emder Katechismus von 1554 beigege-
bene erste Gebet zur Katechismuspredigt (vgl. oben
S. 487, Anm. 31), das die Lütetsburger KO dann
ebenfalls vorsieht (oben S. 541 mit Anm. 35).
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