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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband): Erzstift Bremen, Stadt Stade, Stadt Buxtehude, Stift Verden, Stift Osnabrück, Stadt Osnabrück, Grafschaft Ostfriesland und Harlingerland — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30042#0672
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Grafschaft Ostfriesland

christliche bescheidenheit und z weißheit darin ge-

brauchen, zum ersten bey ihm selbst uberlegen, ob

ihm die sache, von deren er den bruder vermanen

wil, bekant oder unbekant sey. Ist sie ihm noch un-

bekant und dennoch nit one grossen verdacht a, so

sol ein freundliche und mässige underfragung an ihn

(den brüdern) b, insonderheit uber der sach getan,

gnugsam sein, und im fall er die sache leugnet, so

solle man sie dem Herren befehlen. Wo aber die

sache gewiß und bekant ist, so solle er merken, ob

sie den ganzen leib der gemeine angehet oder je-

mand allein und besonder.

Wo sie nu die ganze gemeine angieng, so solle man

sie vor die eltesten der gemeine bringen, welchen

das regiment der gemeine von Gott befohlen ist,

sonderlich aber, so in dem verschweigen der ge-

meine grosse gefahr gelegen were. Denn das gesetz

der liebe erforderet, daß man mehr acht habe auf

den ganzen leib denn auf ein glid allein.

Wo aber die sache einige person besonders oder

allein c anginge, so sol er wol betrachten, ob sie ihme

allein oder auch andern vielen bekant sey. Ist sie

vielen bekant, so möcht er mehr brüder d mit ihm

nemmen, die erste vermanung zu tun. Ist sie aber

ihm allein bekant oder gegen ihm allein getan, so

f- 83 soll er sie nicht weiter außbreiten,sonlder sol ihn erst-

lich heimlich und allein vermanen. Wo nu der ge-

fallen bruder die heimliche sünde leugnet, so soll

a Exo. 20 [5-7] man es e Gott ([a] der ein recher der boßheit ist) be-

Deu. 32 [19 ff.] fehlen. So er sie aber bekennet und gleichwol keine
Rom. 12 [19] reuwe darüber hat, so soll er andere zeugen zu ihm

nemmen und ihn abermals vermanen, auf daß er
ja zur reu dardurch bewegt werde.

Dise stafflen der vermanung hat uns Christus ge-
b Mat. 18 [15 f.] leret mit disen worten (b): Sündiget aber dein
bruder an dir, so gehe hin und straffe ihn zwischen
dir und ihm alleine. Höret er dich, so hastu deinen

brüderlicher Vermahnung unter allen Christen bei
Bucer und Calvin s. oben S. 564 mit Anm. 86, und
S. 566 mit Anm. 6.

42 Daß die christliche Strafe und Warnung aus Liebe
und mit Freundlichkeit zu geschehen habe, ist auch
ein wesentliches Anliegen Bucers; vgl. oben S. 564
mit Anm. 86.

43 Die Sorge füreinander durch Ermahnung ist auch
in den „Geheimnissen“ des Abendmahls begründet;
vgl. oben S. 637.

bruder gewonnen. Höret er dich nit, so nim noch
einen oder zween zu dir, auf daß alle sachen beste-
hen auf zweier oder dreier zeugen munde.

Aber dise vermanung, durch einen oder mehr
geschehen, muß herfliessen auß rechter christlicher
liebe und auß einem einfeltigen und freundlichen
herzen, mit einem ernst den brüder zu gewinnen,
und nicht zu unser selbs erhebung, sonder allein zu
erbauung der gemeine 42. Und zu diser heimlichen
vermanung der gefallenen brüder sind nicht allein
verbunden die diener der gemeine, wie etliche, aber
unrecht, meynen, sonder auch alle glieder der ge-
meine, wie man auß folgenden örtern der schrift f
merken mag: Levi. 10 [19, 17], Matt. 18 [15ff.],

Luc. 17 [3f.], Rom. 15 [14], Col. 3 [16], 1. Thess. 5
[11], Hebr. 3 [13] und 12 [15f.], Jac. 5 [16. 19f.].

Und warlich, alle, die sich empfinden, glieder
eines leibs zu sein, (a) die müssen einer vor den an- a 1.Cor.l2[25]
dern sorge tragen, welche sorge vornemlich durch
die christliche vermanung bewiesen wird 43.

Sovil ihrer denn sind, die diese heimliche ver-
manung nicht tun noch underhalten helfeng wollen,
die beweisen gnugsam, daß sie ohne liebe und deß-
halben Cains samen und geschlecht sind, (b) wel- b Gen. 4 [9]
cher, als er nach seinem bruder Abel gefraget ward,
antwortet: Bin ich denn ein hüter meines bruders ?

Wie man die heimliche vermanung annemen solle.

Nachdem wir gelehret haben, wie man die heim-
liche vermanung tun soll, so wollen wir nu anzeigen,
wie man diselbige annemen soll. Und vor allem ists
augenscheinlich, daß hierin heutiges tags | treffent- f. 84
lich h gesündiget wird. Denn dieweil wir alle eigen-
liebich, ja, mit unser selbs liebe verblendet sind, also
daß wir uns schier lassen bedunken, wir seien Gott 1
gleich, so wollen wir die freie christliche straffe nicht
leiden noch unserer sünden halben vermanet sein k,

z) N (bescheidenheit und)

a) grossen verdacht] N: eenighe redelicke suspicie

b) N ((den brüdern)) c) N (oder allein)

d) N (brüder) e) es] N: de sake

f) N (der schrift) g) N (noch underhalten helfen)

h) treffentlich] N: vanden menschen grootelicx

i) Gott] N: den goden

k) so wollen wir... vermanet sein] N: wij nemen on-
werdelick alle vrye christelicke vermaninghen: ende
willen van onse sonden ende ghebreken niet ghestraft
werden

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