Kirchenordnung 1573/74
selbst absterben und sobald man keine dienere deß
gottlichen wordeß wederumb haben mag, und aber
de nachgelaßen witwe und kindere der pastoren,
dorvan hernach meldung geschicht, annum gratiae
oder nachjahr behalten 24, dorumb wollen wir, daß
nach tödtlichem abgang der pastoren unsere super-
intendenten unß oder unsern beambten das anmel-
den, damit pillige verordnung gemachet werde, ent-
weder durch de nechsten wohnenden pastoren oder
sonsten, so man einen andern dener haben mag,
daßelbe pastorat zu respiciren, domit de leute trost-
loß alß das wilde viehe nit absterben und begraben
werden muegen.
Sectio octava.
Dewiele de erfahrung gibt, daß die pastoren mit
ihren langen predigten sich selbst wederwillen und
den zuhörern averdroß und weinig frucht schaffen,
ordnen wir, daß alleine eine stunde soll gepredigt
werden 25, welche maße sie auch auf de bestimbte
zeit, wanneer sie de hauptarticul unserß christlichen
glaubenß der jungen jögent furtragen und exponi-
ren, halten und de predig allezeit mit dem gebede zu
Gott, wie gebreuchlich, beschhesen sollen 26.
Sectio nona.
Endlich, dewile unbedechtige pfarrherren sich
mehr befleisigen auf schelten gegen de, so nit gegen-
wertig sind, dan daß sie uht grund der schrift ehr
pfarrvolk von de lehre Christi underrichten, so ge-
pieten wir, daß sotan 27 unnödig scheldend, sonder-
442, Anm. 60; S. 475, Anm. 3) und dem sog. Eng-
lischen Schweiß, s. J. F. C. Hecker - A. Hirsch,
Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters. 1865;
E. Rodenwaldt, Pest in Venedig 1575-1577 (Sit-
zungsberichte d. Heidelb. Ak. d. Wiss., math.-nat.
Kl. Jg. 1952, 2). 1953; H. Rosenfeld, Der mittel-
alterliche Totentanz. 1954, bes. 59 ff. (passim Nieder-
schlag der großen Epidemien in Dichtung und dar-
stellender Kunst; Lit.); ferner R. Pollitzer, Pla-
gue. Genf 1954.
24 Schon im Bestallungsbrief des Rietberger Pastors
Simon Hagemann (vgl. oben Anm. 15) wird diesem
zugesichert, es solle seinen Erben ein Gnadenjahr
„one verhinderung gefolget werden“. Ein halbes
Nachjahr bestimmt für Pfarrwitwen und -kinder
die Wolfenbüttler KO von 1569; vgl. Sehling VI,
1, 194. Vgl. auch unten S. 746 mit Anm. 52.
26 Ähnlich setzen z. B. die Lüneburger und die Wolfen-
lich gegen de abwesende, henforder nachbleiben
solle.
Der dritte articul.
Von buchern den pastorn zu schaffen.
Nachdem bey etzhchen kirchen das vermöegent
nit ist, daß sie in deselben notwendige, alß de bibel
Martini Lutheri seliger und andere zugelaßene
buchere, den pastoren und sonsten andern frommen
Christen zue guten, vorschaffen können, und zu ver-
muten, daß die ungenanten deßelben auch zureisen 28
und verderben wurden, ordnen wir, so etwan ein
oder mehr pastoren des unvermöegens weren und
sich mit buchern nicht versorgen könten, daß ihnen
alßden von der kirchen vorstendern oder gemeinen
kirchspellßvolke uff guttachtende der superinten-
denten zu der behueff, soviel mueglich, hulfe erzeiget
werde 29. Und damit die pfarrherrn desto fleisiger
studiren und nit dem ackerwerke soviel mehr alß
dem studio und ihre vocation anhangen, sollen alle
und ein jeder der pfarrheren verpflichtet sein, so
ofte und wanner wir der einen auf unsern befehlich
furdern laßen, daß sie alßden in furgemelten unsern
hauptpfarrkirchen geschickt sein, vor unß selbst
oder de wir darzu verordnen, einen sermon und
predig zu tun.
Der vierte articul.
Von den gevattern bey der taufe.
Sectio prima.
Dewile de erfarung gibt, daß viele leute leider auß
der taufe einen scherz machen und hiebevorn umb
büttler KO die Predigtzeit ungefähr auf eine Stunde
fest; vgl. Sehling VI, 1, 544. 144. - Auch Luther
predigte den üherlieferten Zeugnissen nach oft bis zu
einer Stunde; vgl. Leiturgia II, 271 (A. Nieber-
gall).
26 Gebet nach der Predigt in der liturgischen Folge, wie
die Lüneburger KO von 1564 sie vorsieht; vgl. Seh-
ling VI, 1, 545 f. In der Grafschaft Hoya war damals
vielleicht schon ein angeblich von Johann Timann
(vgl. oben S. 317 mit Anm. 38) verfaßtes Gebet be-
kannt; vgl. E. L. Rathlef, Geschichte der KOO in
der Grafschaft Hoya, in: Hannoverische Beyträge
zum Nutzen und Vergnügen vom Jahre 1762, 1163 f.;
Sehling VI, 2, 1149 mit Anm. 72a.
27 = solch; vgl. oben S. 380, Anm. 95.
28 = zerreißen; vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch
15 (1956), 737 ff. Vgl Anm. 20.
29 Ähnlich sieht die Lüneburger KO für Pastoren,
729
selbst absterben und sobald man keine dienere deß
gottlichen wordeß wederumb haben mag, und aber
de nachgelaßen witwe und kindere der pastoren,
dorvan hernach meldung geschicht, annum gratiae
oder nachjahr behalten 24, dorumb wollen wir, daß
nach tödtlichem abgang der pastoren unsere super-
intendenten unß oder unsern beambten das anmel-
den, damit pillige verordnung gemachet werde, ent-
weder durch de nechsten wohnenden pastoren oder
sonsten, so man einen andern dener haben mag,
daßelbe pastorat zu respiciren, domit de leute trost-
loß alß das wilde viehe nit absterben und begraben
werden muegen.
Sectio octava.
Dewiele de erfahrung gibt, daß die pastoren mit
ihren langen predigten sich selbst wederwillen und
den zuhörern averdroß und weinig frucht schaffen,
ordnen wir, daß alleine eine stunde soll gepredigt
werden 25, welche maße sie auch auf de bestimbte
zeit, wanneer sie de hauptarticul unserß christlichen
glaubenß der jungen jögent furtragen und exponi-
ren, halten und de predig allezeit mit dem gebede zu
Gott, wie gebreuchlich, beschhesen sollen 26.
Sectio nona.
Endlich, dewile unbedechtige pfarrherren sich
mehr befleisigen auf schelten gegen de, so nit gegen-
wertig sind, dan daß sie uht grund der schrift ehr
pfarrvolk von de lehre Christi underrichten, so ge-
pieten wir, daß sotan 27 unnödig scheldend, sonder-
442, Anm. 60; S. 475, Anm. 3) und dem sog. Eng-
lischen Schweiß, s. J. F. C. Hecker - A. Hirsch,
Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters. 1865;
E. Rodenwaldt, Pest in Venedig 1575-1577 (Sit-
zungsberichte d. Heidelb. Ak. d. Wiss., math.-nat.
Kl. Jg. 1952, 2). 1953; H. Rosenfeld, Der mittel-
alterliche Totentanz. 1954, bes. 59 ff. (passim Nieder-
schlag der großen Epidemien in Dichtung und dar-
stellender Kunst; Lit.); ferner R. Pollitzer, Pla-
gue. Genf 1954.
24 Schon im Bestallungsbrief des Rietberger Pastors
Simon Hagemann (vgl. oben Anm. 15) wird diesem
zugesichert, es solle seinen Erben ein Gnadenjahr
„one verhinderung gefolget werden“. Ein halbes
Nachjahr bestimmt für Pfarrwitwen und -kinder
die Wolfenbüttler KO von 1569; vgl. Sehling VI,
1, 194. Vgl. auch unten S. 746 mit Anm. 52.
26 Ähnlich setzen z. B. die Lüneburger und die Wolfen-
lich gegen de abwesende, henforder nachbleiben
solle.
Der dritte articul.
Von buchern den pastorn zu schaffen.
Nachdem bey etzhchen kirchen das vermöegent
nit ist, daß sie in deselben notwendige, alß de bibel
Martini Lutheri seliger und andere zugelaßene
buchere, den pastoren und sonsten andern frommen
Christen zue guten, vorschaffen können, und zu ver-
muten, daß die ungenanten deßelben auch zureisen 28
und verderben wurden, ordnen wir, so etwan ein
oder mehr pastoren des unvermöegens weren und
sich mit buchern nicht versorgen könten, daß ihnen
alßden von der kirchen vorstendern oder gemeinen
kirchspellßvolke uff guttachtende der superinten-
denten zu der behueff, soviel mueglich, hulfe erzeiget
werde 29. Und damit die pfarrherrn desto fleisiger
studiren und nit dem ackerwerke soviel mehr alß
dem studio und ihre vocation anhangen, sollen alle
und ein jeder der pfarrheren verpflichtet sein, so
ofte und wanner wir der einen auf unsern befehlich
furdern laßen, daß sie alßden in furgemelten unsern
hauptpfarrkirchen geschickt sein, vor unß selbst
oder de wir darzu verordnen, einen sermon und
predig zu tun.
Der vierte articul.
Von den gevattern bey der taufe.
Sectio prima.
Dewile de erfarung gibt, daß viele leute leider auß
der taufe einen scherz machen und hiebevorn umb
büttler KO die Predigtzeit ungefähr auf eine Stunde
fest; vgl. Sehling VI, 1, 544. 144. - Auch Luther
predigte den üherlieferten Zeugnissen nach oft bis zu
einer Stunde; vgl. Leiturgia II, 271 (A. Nieber-
gall).
26 Gebet nach der Predigt in der liturgischen Folge, wie
die Lüneburger KO von 1564 sie vorsieht; vgl. Seh-
ling VI, 1, 545 f. In der Grafschaft Hoya war damals
vielleicht schon ein angeblich von Johann Timann
(vgl. oben S. 317 mit Anm. 38) verfaßtes Gebet be-
kannt; vgl. E. L. Rathlef, Geschichte der KOO in
der Grafschaft Hoya, in: Hannoverische Beyträge
zum Nutzen und Vergnügen vom Jahre 1762, 1163 f.;
Sehling VI, 2, 1149 mit Anm. 72a.
27 = solch; vgl. oben S. 380, Anm. 95.
28 = zerreißen; vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch
15 (1956), 737 ff. Vgl Anm. 20.
29 Ähnlich sieht die Lüneburger KO für Pastoren,
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