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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0120
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Ziegenhainer Zuchtordnung 1539

Nun diesen eltesten solle neben und mit den
dienern des worts die gemeine seelsorg und der
hirtendienste14 in jeden kirchen aufgelegt und be-
folhen werden, daß sie nemlich ihres besten ver-
mögens darzu raten und helfen, daß alle getauften,
jung und alt, im christenlichem glauben und leben
zeitig und genugsam geleret und darzu vermanet
und angehalten werden. Und wo jemands an die-
sem etwas fählet, daß solchen fählen auch zeitig
und mit rechten fugen begegnet werde, es sei gleich
an der leer oder am leben.
Zum dritten sollen die eltesten der kirchen
sampt den dieneren des worts anrichten und daran
sein15, daß alle kinder, wann sie des alters halben
fähig sein mögen, zu den catechismos16 geschickt
werden, welche catechismos man auch an jedem
ort wol auf solche zeit halten kann, daß ein jeg-
licher seine kinder darzu zu schicken unbeschweret
sein würd.
Es ist auch die oberkeit schuldig, daß sie auch
durch ihr ampt meniglich dazu anhalte, dann so
die einen jeden menschen die seinen in sein gwalt
und gehorsam verschaffen und darin halten soll,
wie vil mehr gebüret sich ihr zu versehen, daß
Christo dem Herren die, so durch ihn erschaffen
und darüber ihm auch im h. tauf ergeben und ein-
geleibt sein, durch sie zugefüret und in ihm zu le-
14 Charakteristisch für die Ämterlehre Bucers - hier
im Gegenüber zu Calvin — ist die Ausübung der
Seelsorge gemeinsam durch Ältesten und Diener am
Wort; zum ganzen vgl. J. Courvoisier aaO. und
J. Bohatec aaO. Zum „Hirtenamt“ der Presbyter
vgl. das Zitat Anm. 9. Vgl. v. d. Poll aaO.
15 Die liturgischen Ausführungen des folgenden in der
Kasseler Kirchenordnung S. 115.
16 Zur Frage des Katechismus und seiner Herkunft
aus der mittelalterlichen Beichtpraxis vgl. J. Geff-
cken, Der Bildercatechismus des funfzehnten Jahr-
hunderts und die catechetischen Hauptstücke in
dieser Zeit bis auf Luther I, 1855; ferner Jung-
mann I, 606 f.
17 Die Konfirmationshandlung, die sich schließlich
durch die Ziegenhainer Zuchtordnung und vor allem
durch das liturgische Formular der Kasseler Kir-
chenordnung (vgl. S. 124ff.) in weiten Gebieten der
evangelischen Territorien verbreitet hat (vgl. etwa
die Württemberger KO von 1553, die KO für Calen-
berg-Göttingen 1542, Sehling VI, 2, 804, die KO
für Waldeck von 1556/57; die KO für Braunschweig-
Wolfenbüttel von 1569, Sehling VI, 1, 164 ff., die
KO für Hoya von 1581, Sehling VI, 2, 1162 f.), ist

ben auferzogen werden. Es sollen auch die eltesten
und prediger versehen, daß die kinder, so nun
durch die catechismos im christlichen verstande so
weit bracht sein, daß man sie billich solle zum tisch
des Herren zulassen, uf ein fürnemes fest, als
Ostern, Pfingsten und Weihnachten, für aller ge-
mein dem pfarherr an darzu verordnetem ort von
ihren eltern und pettern dargestellet werden, umb
den die eltesten und alle ander diener des worts
stehen sollen. Da solle der pfarherr dieselbigen
kinder die fürnemsten stücke des christlichen glau-
bens befragen, und nachdem die kinder darauf ge-
antwort, sich auch da offentlich Christo dem Her-
ren und seiner kirchen ergeben haben, soll der
pfarherr die gemein vermanen, den Herrn diesen
kindern umb bestendigkeit und merung des h. Gei-
stes zu bitten und solches gebet mit einer collect
beschließen. Dem allem nach soll dann der pfar-
herr denselbigen kindern die hende auflegen und
sie also im namen des Herrn confirmieren und zu
christlicher gemeinschaft bestetigen, auch darauf
zum tisch des Herren gehen heißen, mit angehenk-
ter vermanung, sich im gehorsam des evangelii
treulich zu halten und christliche zucht und straf
von allen und jeden christen, vornehmlich aber von
den seelsorgern alle zeit gutwillig aufzunemen und
derselbigen gehorsamen volge zu tun17.
im Raume der Straßburger Reformation vorge-
formt, unter wahrscheinlicher Aufnahme von Ge-
dankengängen des Erasmus (vgl. Caspari 20;
Maurer, Gemeindezucht 44 f.), der Böhmischen
Brüder (vgl. Caspari 167 ff.) und des Verlangens
der Wiedertäufer, daß die heranwachsende Jugend
sich zu christlichem Leben und Glauben verpflichte
(vgl. Hubert 132 ff.; Diehl, Zur Geschichte der
Konfirmation 2 ff.). Im Mittelpunkt der erstmalig
durch die Ziegenhainer Zuchtordnung und durch die
Kasseler Kirchenordnung ausgeformten Konfir-
mationshandlung steht das Bekenntnis des Glau-
bens und des Gehorsams (vgl. S. 125 und S. 293);
im Anschluß an Act 8, 13 ff. wird unter Gebet und
Handauflegung die Kraft des Hl. Geistes für die
so Konfirmierten erbeten (vgl. S. 126 und S. 294).
Beide Punkte bleiben für den kirchenzuchtlichen
Typus der Konfirmation bestimmend (vgl. ferner
Diehl, Die Zeremonie der Handauflegung und die
Konfirmationsformel „Nimm hin den heiligen Geist“
nach der hessischen Agende von 1566, ZprTh 18,
1896). Ziel der Konfirmationshandlung ist die Her-
stellung einer Abendmahls- und Zuchtgemeinschaft.
Vgl. auch die Proklamation der Kirchenzucht in der

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