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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0119
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Ziegenhainer Zuchtordnung 1539

ist eltesten9, verordenen, und die nemlich aus je-
der gemeinden, welche die verstendigsten, beschei-
desten und eiferigsten im Herrn und auch bei der
gemeinden die best vertrautesten und wolgemein-
testen sein, so man in jeder gemein haben mag.
Diese eltesten solle jede kirche, wie auch die
diener des wortes mit getreuem ufsehen auf den
canonem Pauli [1. Tim 5, 17 ff.; Tit 1, 5 ff.] welen.
Und wer auch gut, daß man sie in der kirchen mit
offentlichem gebet und vermanung zu ihnen den
eltesten, ihres ampts fleißig zu warten, zu der ge-
mein, denselbigen eltesten im Herren herzlich zu
gehorchen, bestetigete und ihr ampt also heiligte10.
Dero ampt und dienst auch die oberkeit getreu-
lich erheben und darob halten soll, als ob dem
notwendigsten und heilsamsten dienst und ampt,
so nach dem ampt der leer in der kirchen sein mag.
Und möchte besserlich sein, daß sölche eltesten
9 Zur Einordnung des Ältestenamtes in oberdeutsche
(Oekolampad 1529, Ulmer KO 1531) und humanisti-
sche Traditionen vgl. W. Maurer, Gemeindezucht
32 ff.; J. Bohatec, Calvins Lehre von Staat und
Kirche, 1937, S. 455 ff. Die Vorform des hessischen
Presbyteramtes ist in Straßburger Ordnungen zu
suchen (vgl. J. Courvoisier, La notion d’eglise
chez Bucer, 1933, S. 37 ff. 97 ff.). Als Parallele zur
Zuchtordnung vgl. vor allem: Bucer, Bericht aus
der heiligen geschrift 1534 (Stupperich Nr. 43),
Bl. e 2r: Zum andern wolten wir, daß dieser eltisten
ampt solte einsehen, daß kein falsche leere einfiele,
wo jemand rechenschaft der leere vorderet, daß es
vor diesen beschähe. Item, was grober ergernus im
namen der kirchen zu straffen, die so beharren in
der ungehorsam zu bannen, wes auch die gemein
jeder zeit besunders zu verwarnen, zu erinnern, zu
ermanen, was an dienern des worts zu bessern, wo
etwan in furfallender not der gemein besondere ge-
bot und fasttag zu setzen wäre und was aller ding
zum hirtenampt zu weiden und regieren die herd
Christi, erforderet wurd, dies alles solten diese elti-
sten, so ihnen also von leien und anderen furnemen
der kirchen verordnet werden, versähen. Zum drit-
ten solte diesen auch zustehn, so ein diener des
worts anzunemen, denselbigen an leere und leben
zu examinieren, von ihm zu erforschen und ihn gar
nicht vor der gemein furzegeben, ehe dann sie ihn
tauglich erfunden hetten. Vgl. v. d. Poll 26f.
10 Das liturgische Formular zur Bestätigung der Äl-
testen in der Kasseler Kirchenordnung (Text Nr. 10)
S. 127.
11 Das Ältestenkollegium der Kasseler Gemeinde hat
der Landgraf offenbar selbst zusammengesetzt (vgl.
den Brief Bucers an den Landgrafen vom 27. De-
zember 1538, Lenz I, 60 Nr. 22, und Maurer, Ge-

eins teils aus des rats oder gerichts herren, eins
teils von der gemein gewelt würden11.
Welche eltesten12 vor allem ein besonder fleißig
aufsehen auf die prediger haben sollen13, damit
dieselbigen ihres ampts recht auswarten in lere
und leben, und wo sie das tun, sie vor dem falschen
verleumbten treulich vertedingen. Wo aber des bei
ihnen mangel erfunden würd, sollen diese eltesten
daran sein, daß sollichs durch sie oder auch durch
die oberkeit gebessert werde. Und wo die christ-
liche lere gegen jemands zu vertedingen oder irrige
leut zu berichten oder etwas anders wichtigs von
wegen der kirchen zu handelen, fürfallen würd, so
sollen allweg die eltesten dabei sein und ihren ge-
treuen rat und hilf dazu nach ihrem besten ver-
mögen beweisen, damit in der kirchen alles desto
ordentlicher, vertraueter und zu merer besserung
verrichtet werde.
meindezucht33 Anm. 18). Bucer bittet den Land-
grafen, zu diesem Ältestenkollegium den Statthalter
und den Kanzler zu verordnen, ,,damit die erwe-
leten nit zur sachen zu kleinmutig sein“, vgl. auch
Maurer, Gemeindezucht 33 Anm. 17.
12 Maurer, Gemeindezucht 34, weist als „einzigen
Unterschied zwischen der bisher im Luthertum auf-
gewiesenen Entwicklung und den hessischen Ord-
nungen“ den Umstand auf, ,,daß hier die Zucht-
funktion sich zu einem eigenen geistlichen Amte
verselbständigt hat“. S. 37 führt er diese Verselb-
ständigung eines gleichwertig neben dem Amt der
Wortverkündigung stehenden Presbyteramtes auf
die Verwurzelung im humanistischen Biblizismus
und Traditionalismus zurück. Allerdings wider-
spricht sich Maurer selbst, wenn er anführt (S. 37):
,,In unseren hessischen Ordnungen ist nichts ent-
halten, das ihn (= den Abfall von der lutherischen
Tradition) ausdrücklich hervortreten ließe. Sie las-
sen sich noch ganz aus dem Zusammenhang heraus
verstehen, der durch Luthers Gedanken umgrenzt
ist.“ - Die Verselbständigung des Presbyteramtes
ist auf bucerischem Boden durch die Auseinander-
setzung mit den Wiedertäufern bedingt; vgl. auch
das Zitat aus der an die Münsterer gerichteten
Schrift in Anm. 9. Vgl. Bellardi 17ff.
13 Maurer, Gemeindezucht 31 Anm. 16, führt Bei-
spiele aus dem lutherischen Raum (z. B. Mecklen-
burg, Ordeninge der misse 1540/45) zur Zuchtbefug-
nis der Diakonen über die Verkünder des Worts an.
Jedoch handelt es sich hierbei um das Sündenbe-
kenntnis des Pfarrers zu Beginn der Messe, das
durch den Küster absolviert wird. Dieses Confiteor
und seine Absolvierung setzt aber lediglich die mit-
telalterliche Meßtradition innerhalb des Vorberei-
tungsgebetes fort.

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