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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0135
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Kasseler Kirchenordnung 1539

Wo aber die kinder blöd und schwach weren, daß
man besorgen müßt, sie künten der verordenten
stunde zu taufen nit erwarten, damit sie dann nit
on die heiligen tauf stürben, weil der Herr die kin-
der der kirchen einmal geschenkt hat, soll man die
in heusern oder kirchen taufen, nacbdem die not-
turft und gelegenheit mit jedem kind sein würt.
Doch soll niemants gepüren, den heiligen tauf von
andern dann von den geordenten dienern unserer
kirchen und nacb ordnung derselbigen seinen
kindern zu entpfahen1920.
[5] Von dem heiligen abentmal.
Wann das zu balten sein wird, so soll der diener
gleich uf die predige die geheimnis des hochwir-
digen sacraments erkleren21, daß nemlich wir un-
sers fleisch und bluts balben so verderbt sein, daß
wir das reich Gottes unsernthalben nit mögen er-

entblöst es, nennet es mit seinem namen und sagt: N.,
ich tauf dich im namen Gottes des Vaters, Sons und
heiligen Geistes, Amen. Der almechtig Gott und Vater,
der dich anderwerts geborn hat durchs wasser und
sein heiligen Geist und hat dir in Christo alle deine
sund vergeben, der salb und sterk dich mit seinen heil-
samen gnaden zum ewigen leben, Amen.
Adhortatio ad ecclesiam.
Dieweil diese kinder zur gemeinschaft Christi jetzun-
der getauft sein, will ich euer lieb gebeten haben durch
Jhesum Christ, sie woll sie ihre als glieder unsers Her-
ren und unsere mitglieder erkennen und halten und ein
jeder, so viel er immer durch den Herren vermag, darzu
helfen, daß diese kinder dem Herren uferzogen wer-
den und ihnen zum preis des Herren in allem gutem
an seel und leib gedienet von jederman. Und hierzu
will ich besonders ermanet haben die eltern und ge-
19 Der lutherische Bereich (vor allem vertreten durch
die sächsische KO von 1539, bzw. 1540) übt, im An-
schluß an die römische Praxis, die Nottaufe, aus-
geübt durch Hebammen, während der reformierte
Bereich die Nottaufe ablehnt. Daher ist die Stel-
lungnahme der Kasseler Ordnung hier kennzeich-
nend: Sie verbietet die Ausübung der Nottaufe
durch Laien. Die Taufe soll zwar dort sofort gehan-
delt werden, wo die Kinder schwach sind, aber die
Spendung der Taufe wird allein den geordneten
Dienern vorbehalten. Mit diesen Bestimmungen ver-
sucht die KO, einen Ausgleich zwischen der in der
sächsischen Agende sich niederschlagenden Tradi-
tion und der sich allmählich herausbildenden von
Straßburg herkommenden Praxis.
20 Gegenüber der mittelalterlichen Tradition, die durch

erben und daß derhalben, daß uns geholfen würde,
das ewig wort Gottes und der Son des almechti-
gen fleisch und unser bruder worden ist, damit er
uns seines fleiscb und seines gebeints mächte, und
daß er uns da sein leib und blut mit dem brot und
wein übergebe22, nit zur bauchspeis, oder mit dem
brode natürlich vereinigete23, aber zur speis des
ewigen lebens warlich und wesentlich, und darzu,
daß er in uns und wir in ihme leben ein recht heilig,
seliges, das ist götlich leben. Derhalben wir mit
warem glauben unn höchster andacht dies him-
lisch geschenk entpfahen und des Herren herrlich
gedechtnis mit allen freuden und danksagunge hal-
ten sollen und uns und das unser dem Herren von
herzen begeben und aufopferen und das mit dem
milten opferen für die armen reichlich bezeugen,
welche verklerung und ermanunge auch erlengert
oder erkürzet werden soll, nacb dem es jedes mal
dem volk besserlich sein mag.
vattern, daß sie hieran besondern vleis ankeren, wie
denn das für Gott pfiichtig und schuldig und des un-
serm Herren Christo rechenschaft geben müssen, wo
sie sich nicht als geistliche mitväter und mütter an
diesen kindern beweisen. Es sollen auch die eltern die-
ser so reichen gnade, jetzunder vom Herren ihnen und
ihren kindern geschenkt, die denn der gütig Vater
durch Christum jetzt zur widergeburt aufgenommen
hat, sich in alle weg dankbar zu beweisen nicht under-
lassen, und fürnemlich dieses itzund anfangen und be-
zeugen mit einem opfer und steur für die armen (doch
nach eines jeden vermögen), die denn uns der Herr mit
allem vleis bevolhen hat. Der Herr geb, daß sein heili-
ger engel, die sein angesicht sehen im himel, diese kin-
der und uns alle miteinander vor allem argen und ubel
zu allem gutem bewaren und fordern durch Jhesum
Christum, Amen. Gehet hin im frieden des Herren,
Amen.
Luther und das Rituale in gewissem Sinne vertreten
wird, läßt die Kasseler KO, im Anschluß an Straß-
burger Eormulare, den Exorcismus bei der Taufe
fort, vgl. auch unten Anm. 30.
21 Vgl. die liturgischen Ausführungen unter k, dahinter
stehen wiederum Straßburger Traditionen, vgl. Hu-
bert 97ff.
22 Die KO übernimmt die Formulierung (cum pane et
vino) der Abendmahlslehre der Wittenberger Kon-
kordie, vgl. Bek. Schrr. 63 Anm. 2 und zum ganzen
W. Köhler, Zwingli und Luther I. II; 1924. 1953.
23 Ablehnung der Transsubstantiationslehre, die u. U.
(vgl. die Confutatio CR 27, 107) in den Artikel 10
der Confessio Augustana hineingelesen werden
konnte. — Zur hess. Abendmahlslehre im ganzen
vgl. S. 305f. 378. 380.

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