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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0200
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Kirchenordnung 1566

verbunden sein, sonder, was sie selbst christlich be-
daucht, ins werk zu bringen unterstanden haben18.
Daraus erfolget, daß oftmals in dörfern und sted-
ten, so ganz nahe beieinandergelegen, ein große
ungleichheit der ceremonien, action und ubung der
kirchenzucht ist gehalten worden. Und dieweil der
gemeine einfeltige mann nicht alwegen von der ein-
helligkeit der lehre richten kann, sondern allein
oder ja am meisten auf solche eußerliche ding sie-
het, hat man vernommen, daß viel frommer ein-
feltiger herzen (wiewol aus unverstand) sich hierab
nicht allein verwundert, sondern auch vielleicht
nicht wenig geergert haben. So straft Gott auch
unsere große undankbarkeit für die warheit seines
heiligen evangelii unter andern damit, daß man in
diesen letzten zeiten aus verdruß der reinen lehr
und eckel der guten gewonlichen, gesunden speis zu
viel lust und neigung hat zu neurung. Und finden
sich viel unrüwiger köpf, so sich bedunken lassen,
es sei ihnen ein ehr und habens trefflich wol aus-
gerichtet, wenn sie sich von andern absondern und
etwas neues fürnemen und anrichten können, dar-
durch die liebe kirch des Herren Jhesu Christi un-
rüwig gemacht, getrennet, geergert und zum höch-
sten betrübt und beschwert wird, wie des leider
mehr denn zu viel exempel verhanden und offent-
lich am tage seind19. Diesem unrat zuvorkommen
und daß nicht die christliche freiheit, deren wir uns
bis daher friedlich und dankbarlich gebraucht, zum
mutwillen fleischlicher leut gezogen und von für-
witzigen angehenden predicanten und stolzen un-

lichen Agenden vgl. auch die Klagen der Pfarrer der
Niedergrafschaft Katzenelnbogen (Quellen III,
906 S. 327); ferner das Schreiben der auf der Kas-
seler Synode von 1559 versammelten Superinten-
denten und Pfarrer an den Landgrafen vom 24. Mai
1559 (Quellen III, 845). Teilweise war auch die
Brandenburg-Nürnberger KO von 1533 in Gebrauch,
so etwa in Marburg, vgl. Quellen III, 657 B, S. 90;
vgl. dazu die Gebete der Kasseler Kirchenordnung
im Erfurter Druck, S. 129.
18 Vgl. Hassencamp 2, 490ff.
19 Vgl. etwa das Schreiben Landgraf Wilhelms an den
Superintendenten zu Frankenberg, Kaspar Tholde,
vom 4. Juli 1563, Quellen III, 910, und den Brief
Landgraf Philipps an Herzog Christoph von Würt-
temberg vom 17. Dez. 1563 (Quellen III, 918), in
etwa auch das Schreiben der Pfarrer der Niedergraf-
schaft Katzenelnbogen an den Landgrafen vom

rüwigen köpfen, deren zu dieser zeit sich nicht wenig
finden, nicht zu spaltung und trennung ursach ge-
sucht und geschöpft werden möge, ist für ratsam
angesehen, daß eine gewisse kirchenordnung gestel-
let und im namen unsers gnedigen fürsten und
herrn publicirt würde, der sich alle und jede die-
ses fürstentumbs pfarherrn und seelsorger gebrau-
chen und gehalten müsten.
Wiewol wir aber die Casselische oder die alte
Sechsische kirchenordnung bei allen kirchen in
brauch zu bringen und hiemit ein gleichförmigkeit
anzurichten, bedacht gewesen weren, dieweil sie
doch kurz begriffen und nicht von allen notwen-
digen stücken meldung und gnugsam bericht tun,
auch nicht grund und ursach, woher ein jede action
genommen sei, zeigen, und die papisten, unser
widersacher, fast klagen, wir treten ab von der rech-
ten alten catholischen kirchen und richten unord-
nung und zertrennung aller guten kirchenzucht
an20, haben wir uns bedunken lassen, es sei not-
wendig und werde bei vielen gutherzigen leuten
fruchtbar sein, daß ein solche kirchenordnung von
uns beschrieben und in unsern landen ins werk ge-
richtet werde, darinnen den einfeltigen pfarherrn
alle puncten des kirchendiensts, wie die von ihnen
fürgenommen und christlich verhandlet werden
möchten, eigentlich und deutlich fürgeschrieben
und derselbigen warhaftige ursachen und beweise
beide, aus der aposteln schriften und der alten
frommen kirchenlehrer, so bei der einfeltigen war-
heit und hellen liecht des evangelii blieben seind21,
22. Juni 1563 (Quellen III,906) über lutherische
und calvinische Regungen in den Jahren vor Erlaß
der Kirchenordnung, vgl. noch Hassencamp 2,
453. 459ff. 475ff.
20 Eine ähnliche Klage liegt dem Schreiben der Pfarrer
der Niedergrafschaft zugrunde, vgl. Quellen III,
906 S. 328.
21 Schon der Titel der Kirchenordnung gibt ihre Be-
zogenheit auf Schrift und Tradition zu erkennen;
vgl. dazu Heppe, Kirchengeschichte 1, 295; Hep-
pe, Generalsynoden 1, 189 und B. Bess, Die Ent-
wicklung der hessischen Kirche unter Philipp dem
Großmütigen, ZKG 33, 1912, S. 343. Zur Proble-
matik eines theologischen Traditionalismus im Be-
reich des deutschenProtestantismusvgl. O.Ritschl,
Dogmengeschichte 1, 195ff. und R. Stupperich,
Der Kirchenbegriff in der theologischen Entwick-
lung Martin Bucers, ARG 35, 1938 und R. Stup-

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