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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0255
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Kirchenordnung 1566

sollen vergebung der sünden und dadurch sie ver-
gewissern, daß ihnen auch ihre sünde im himmel
verzeihen sind, wie dann die wort des Herrn Christi
klar lauten, Matth. 16 [19]; 18 [18]; Joannis 20
[23]: Was ihr lösen werdet uf erden, soll auch im
himmel los sein. Derhalb verkündige ich beide,
aus den vor angezognen trostsprüchen und auch
aus gewalt der schlüssel, von unserm Herrn Jesu
Christo seiner kirchen und derselbigen dienern uber-
geben, allen denen, so ihr sünde von herzen leid
sind und zu Gott vertrauen, er werde sich ihrer er-
barmen umb unsers mitlers Jesu Christi willen, ha-
ben auch ein guten forsatz, in einem neuen leben
zu wandeln, gnade und vergebung aller sünden und
daß sie erlangen sollen die erbschaft des ewigen
lebens im himmel durch Christum Jesum unserm
Herrn. Amen.
Weil dies ander stück etwas lang, nemlich von der
bekentnis und vergebung der sünden sampt der
absolution, darzu uf der canzel nach der predigt,
wie auch sonst in allen andern kirchen gewönlich
wiederumb gebraucht wird8, singen etliche kirchen
dafür das Miserere, den 51. Psalm9, oder einen an-
dern.
Darnach singt die kirche das kyrie eleison10 mit
dem gloria in excelsis et in terra pax, wie es in den
gesangbüchern verdeutscht und gedruckt ist11, dar-
auf volget ein gebet oder collect nach der zeit12,
welche der diener, nachdem er sich zum volk ge-
wendt, der kirchen mit lauter stim vorlieset. Dar-
nach volget die lection aus den episteln der apo-
steln, auch nach der zeit und gewonheit der kir-
chen.
Daß aber die schrift in der christlichen versam-
lungen zu lesen und auszulegen und allezeit zu uben
von Gott verordnet sei, ist ganz klar am tage und
kann aus der heiligen schrift und büchern der vät-

8 Zur Geschichte der Predigtannexe, insbesondere der
Offenen Schuld, vgl. J. A. Jungmann S. J., Missa-
rum sollemnia 1, 1948, S. 605ff.; F. Schmidt-
Clausing 102ff.
9 Straßburger Gesangbuch 1541, Bl. 115 (Erbarm dich
mein, o Herre Gott). Vgl. auch Handbuch 1, 374
Nr. 462 d.
10 Vgl. den Gesangbuchanhang zur Agende 1574, Anm.
6. 7.
11 Agende 1574, Gesangbuchanhang, Anm. 6. 7.

ter gnugsam bewiesen und dargetan werden, als
Luc. 4 [16ff]: Jesus kam gen Nazareth und gieng
nach seiner gewonheit am sabbathtag in die schule,
stund auf und wolt lesen. Da ward ihm gereicht
das buch Jesaiae, und da er das buch rumb warf,
find er den ort, da geschrieben stehet, etc. Derglei-
chen Actorum 13 [15ff]: Nach der lection aber des
gesetzes und der propheten sandten die obersten
der schule zu ihnen und ließen ihn sagen: Lieben
brüder, wolt ihr etwas reden und das volk ermanen,
so saget an, etc. Item Acto. 15 [35]; 17 [1 ff];
Colos. 4. [16]: Wenn die epistel bei euch gelesen, so
schaffet, daß sie auch in der gemeine zu Laodicea
gelesen werde und daß ihr die an die von Laodicea
leset, aus welchen letzten sprüchen man leichtlich
abnemen kann, daß nit allein die bücher des alten,
sondern des neuen testaments in den christlichen
versamlungen gelesen und ausgelegt sollen werden.
Es schreibt Justinus Martyr, welcher gelebt hat
nach Christi geburt umb das jar 150, in der andern
Apologia vor die christen13: Am sontage, spricht
er, kommen zusamen an einem ort alle, die in sted-
ten, desgleichen uf dem lande wonen, und werden
der propheten und aposteln schrift gelesen, so viel
in einer stunde geschehen kann. Demnach, wenn
der leser aufhöret, vermanet der oberst, welcher der
kirchen vorstehet, aus Gottes wort die ganze kirch,
daß sie dem guten, so vorgelesen ist, wollen nach-
folgen. Uf dieselbige meinung sagt Tertullianus in
Apologetico cap. 39 14: Wir kommen zusamen zu
betrachtung göttlicher schrift, wo es die gelegen-
heit gegenwertiger zeit erfordert, zu vermanen und
zu erkennen. Und warlich, wir erhalten unsern
glauben durch heilige gesenge, richten unser hoff-
nung auf, befestigen unser vertrauen und nichts
desto weniger halten wir fleißig an zur disciplin der
gebote. Man hat auch sehr viel auslegung und pre-
12 Die in Hessen gebräuchlichen Kollektengebete ent-
stammen vornehmlich der Deutschen Messe Lu-
thers 1526, der Brandenburg-Nürnberger KO 1533;
vgl. auch unten S. 262 Anm. 5 und die Gebete der
Agende 1574. Vgl. auch Handbuch 1, 263 ff.
Nr. 360 ff.
13 Justinus Martyr, Apol. 1, 67, 3; MPG 6, 429.
14 Tertullian, Apologeticum 39, 3; MPL 1, 468f.; CSEL
69, 91 f.; CCL 1, 150.

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