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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0256
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Kirchenordnung 1566

digt aus den büchern der heiligen schrift beider
testament, so von griechischen und lateinischen
lerern ausgangen, welche klar bezeugen, daß die
alte und erste kirche diesen brauch, darvon wir itzt
reden, allezeit gehat habe. Derhalben ist dies dritte
stück gleich als ein band und furnemste ursach aller
heiligen versamlung der christen an allen orten, on
welchs in der kirchen wenig nutz geschafft würd.
Daher wir wol sagen können, daß die lection und
auslegung der heiligen schrift sei die seel und das
leben aller christlichen versamlung. Damit aber zur
besserung und wolstand alles, so viel dies stuck be-
langt, in der kirchen verhandelt werde, sollen beide,
die lection und auslegung der heiligen schrift der-
maßen verrichtet werden:
1. Erstlich heißt derjenige, so die schrift ver-
leset, die ganze versamlung, damit jedermann flei-
ßig zuhöre, mit allem ernst ufmerken uf dasjenige,
so von den propheten oder aposteln geschrieben,
zeigt zugleich mit an den namen des authoris oder
scribenten, die uberschrift des buchs und die zale
des capittels.
2. Es wird alles in bekanter sprach gelesen, uf
daß man mit auslegung der frembden sprache die
zeit on frucht nit zubringen, wie zuvor in die lenge
vermeldet15.
3. Uf die sontag fur mittag wird uf das gebet oder
collect ein stück aus den episteln Pauli oder anderer
aposteln nach der zeit, wie in den kirchen verord-
net, verlesen, welchs hernach in der wochen aus-
gelegt wird an etlichen ortern nach mittag. Dar-
auf singt man einen psalm oder lobgesang, an et-
lichen ortern den sequenz Benedicta sit sancta tri-
nitas16; Gra. nunc omnes17; Victimae paschali18
etc., nach der zeit. Darauf volget die lection des
evangelii, wie in den kirchen auch verordnet, welchs
in der predige gleich ausgelegt wird. Aber in et-
lichen vornemsten kirchen werden die evangelisten
ordentlich gar furgenommen und allewege so vil
daraus fürgelesen, als der diener in einer stunde

15 Vgl. S. 230 f.
16 Vgl. Agende 1574, Gesangbuchanhang, Anm. 8. 9.
17 Vgl. Agende 1574, Anhang, Anm. 25. 26.
18 Vgl. Agende 1574, Anhang, Anm. 31. 32.
19 Vgl. etwa Basilius, hom. 13, 1; MPG 31, 424.
2° Vgl. etwa Ambrosius, ep. 22, 3; MPL 16, 1020.

erkleren kann. Wo aber mehr tage oder alle tage
die kirche und gemein in der wochen zusamen-
kompt, soll man an selbigen werktagen in der ge-
mein lesen und auslegen etliche bücher, nit allein
des neuen testaments, sondern auch des alten, aus
der ursach, damit erstlich die zuhörer zugleich der
bücher beider testaments gewonnen, darnach daß
die verheißung, weissagung und vorbilde von Chri-
sto ihnen desto bekanter werden, item daß sie die
lehr des alten und neuen testaments gegeneinander
halten und vergleichen und also die lieblich harmo-
nia und wunderbarlich einigkeit in der lehr beider
testament und der kirchen zu allen zeiten kund und
offenbar werde. Es sollen aber die pfarherr und
prediger vorsichtiglich handeln in der wahl der
bücher des alten testaments, das ist, sie sollen die
bücher des alten testaments vor sich nemen und
auslegen, welche mit sonderlichem nutz dem volk
können vorgehalten werden.
Man findt bei den alten lehrern der kirchen
zweierlei weise, die sie in erklerung göttlichs worts
bei der gemeine Gottes gebraucht haben. Unter-
weilen haben sie ganze bücher des neuen oder alten
testaments vor sich genommen und dieselbigen
durchaus von anfang bis zu ende, wie sie geschrie-
ben, dem volk ein capitel nach dem andern fur-
gelesen und ausgelegt. Unterweilen aber haben sie
etliche stück aus der evangelisten oder aposteln
schriften oder andern büchern nach gelegenheit der
zeit und stand der kirchen ausgesondert und die-
selbigen der gemein vorgehalten und sie ufs flei-
ßigst und treulichst zur besserung erkleret, wie das
gnugsam bezeugen die homiliae und bücher Basi-
lii19, Ambrosii20, Augustini21 und Chrysostomi22,
da in etlichen ganze bücher des alten oder neuen
testaments, in etlichen nur besondere gewisse
stücke tractirt werden. Und daß Augustinus die-
sen beiderlei brauch gehalten habe, gibt er klar
gnug zu verstehen im anfang der episteln Ioannis 23,
da er also spricht: Ihr wisset, daß wir das evan-
21 Vgl. Amn. 23.
22 Vgl. etwa Chrysostomus, De Lazaro concio 3, 1,
991 ff.
23 Augustinus, In ep. Joann. prol; MPL 35, 1977. Zum
ganzen vgl. RE3 15, 133.

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