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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0271
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Kirchenordnung 1566

allen guten werken und täglich in der erkentnus
Gottes wachsen, gesterkt mit aller kraft nach sei-
ner herlichen macht in aller gedult und langmütig-
keit mit freuden und danksagen dem Vatter Jesu
Christi, der uns tüchtig gemacht hat zum erbteil
der heiligen im liecht durch unsern heiland Jesum
Christum [Kol 1, 9-12]. Amen.
Wenn etwa in einem großen dorf nach mittag
auch versamlunge gehalten werden, soll alles, wie
auch jetzt allererst bemelt, gehalten werden wie in
stedten, da man nach mittag den catechismum zu
halten pflegt.
(a. R.: Wie es die wochen uber soll gehalten wer-
den.) Wir wollen nun weiter anzeigen, wie es die
wochen uber soll gehalten werden. So viel nun die
morgenpredig belangt, werden in etlichen stedten
aus langem brauch her dieselbigen teglich gehal-
ten, in etlichen dreimal, in etlichen zweimal, in der
wal aber der tagen und stunden wird billich einer
jeden kirchen ihre freiheit gelassen.
Zu solcher zeit der predig wird ein psalm oder
zwen erstlich gesungen, nachdem zuvor der h. Geist
angeruffen mit dem gesange Veni sancte spiritus80.
Zum dritten volget das Vatter unser, daruf gehet
die predig mit vorgehendem und nachvolgendem
gebett, die predig aber werden genommen aus den
büchern des alten, vornemlich aber des neuen testa-
ments, so dem volk erklert und ausgelegt werden.
Und ist umb vieler ursachen willen sehr nütz, son-
derlich aber gehets ohn frucht nit abe, wenn die
psalmen ausgelegt werden, zuvoraus die, so von
der ganzen gemein gesungen; denn also verstehen
sie alles besser, was in der h. versamlung von der
kirchen verricht wird. Es werden auch die gemüter
under dem singen desto mehr zur andacht und
gottseliger betrachtung entzündet; denn was man
nit verstehet, gehet einem langsam zu herzen.
Nach den psalmen mag man vornemen ein buch
des alten oder neuen testaments, so nach ider zeit
gelegenheit zur ufbauung der gemeine am allerbe-

80 Die aus dem 11. Jh. stammende lat. Antiphon Veni
Sancte Spiritus, reple tuorum corda ist in der Re-
formationszeit mehrfach eingedeutscht worden: vgl.
Handbuch 1, 612 zu Nr. 323. Ob die KO die Er-
furter Form (Komm heiliger Geist, erfüll die Her-
zen; Kirchenamt Erfurt 1524, Handbuch 1, 236

sten dienen mag. Aber hierin soll kein diener des
worts etwas fürnemen ohn rat und vorwissen des
superintendenten, welcher betrachten soll, was für
bücher des alten testaments durch wen und an wel-
chen orten mit frucht ausgelegt werden können
und sollen, dann hierin wöllen dacht sein die per-
son, beide der lehrer und zuhörer, sintemal etliche
bücher schwerer sind denn die andern. Es spricht
Salomon Prover. 20 [18]: Anschlege bestehen,
wenn man sie mit rat füret. Derhalb soll ein jeder
wissen, daß ihm sehr wol geschehe, so er geschickte,
weise und ufrichtige männer zur hand hat, bei wel-
chen er treuen rat deshalben suchen mag.
Es werden auch in etlichen stedten in der wo-
chen vesperpredig gehalten. Denn an etlichen orten
wird täglich nach mittag zu gewisser stund ein christ-
liche versamlung gehalten, da ein psalm oder zwen
gesungen, darnach etwas aus den büchern, die man
canonicos81 nennet, fürgelesen und aus dem, das
fürgelesen ist, der kirchen ein lehr oder vermanung
oder trost oder zugleich allesampt, wie sichs zu-
tregt, kürzlich fürgetragen.
Bald wird Gott angeruffen und dank gesagt mit
einem psalm oder Danksagen wir alle82 und die
kirch mit dem segen heimgelassen. Dieses weret nit
uber ein halbe stund. Man findet auch selten ein
stadt, da nit in der wochen einmal oder zwei nach
mittag anstatt der vesper, so jetzt vermeldet, der
catechismus zu erkleren und zu üben fürgenom-
men werde. Da wird es gehalten wie mit dem cate-
chismo auf den sontag.
An etlichen orten wird nach mittag auch uf den
sontag kein versamlung gehalten denn allein umb
des catechismi willen.
In etlichen dorfen wird die ganze wochen nur
einmal vor mittag ein versamlung gehalten. Da
singt man ein oder zwen psalmen, darauf das Vater
unser gesprochen oder gesungen wird. Demnach
volgt etwas aus den episteln der apostel, so vor-
gelesen, oder würd die sontagsepistel ausgelegt und
Nr. 323; Evgl. Kgh. 124) oder die Form der Gesang-
bücher Luthers (Komm heiliger Geist, Herre Gott;
vorreformatorisch, Handbuch 1, 612 zu Nr. 323)
gesungen wissen will, ist nicht recht deutlich.
81 Vgl. S. 214.
82 Vgl. Agende 1574, Anhang Anm. 25. 26.

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