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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0290
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Kirchenordnung 1566

ihre leibliche eltern, welcher sachen sie auch der
h. Augustinus ermanet in 215. predig, der ober-
schrift ist: Vom christlichen namen65. Von den kin-
dern, spricht er, die ihr zu der tauf bracht, solt ihr
wissen, daß ihr bei Gott vor sie bürge seid worden;
derhalben euch zustehet, sie nit weniger zu under-
richten und zu züchtigen, als die von euch geboren
seind, damit sie keusch, gerecht und meßiglich le-
ben. Uf diese meinung werden etliche sprüch im
namen Augustini angezogen distinct. 4 cap. Vos
autem omnia66 etc. Daher auch der brauch kom-
men, daß die susceptores gevattern, item geistliche
vätter, die getauften kinder aber geistliche kinder
genent seind.
Dieses haben wir vor gut angesehen, etwas weit-
leuftiger zu handeln, uf daß die eltern, so begeren,
ihre kinder zu teufen, desto fleißiger bei sich be-
trachten, was sie vor gevattern bitten söllen, die
kirchendiener aber desto fleißiger erwegen, welche
sie zu gevattern mögen zulassen, auch daß die ge-
vattern selbst sich ihres ampts erinnern und dem-
selbigen getreulicher nachkommen. Es ist ein ge-
meiner brauch, daß die nachbar und freunde dem
glück wünschen, so gevatter worden und ein kind
aus der taufe heben soll, bieten ihm auch ehr an67.
Diese gewonheit ist ohn zweifel erstlich doher kom-
men, daß sie die wirdigkeit des ampts eines gevat-
ters besser betracht haben dann itzt geschicht,
denn sie haben verstanden, daß dieses ampt nit
einem iglichen anzubieten, sonder allein denen, wel-
cher glaube, liebe zu aller gottseligkeit und unstreff-
lichs leben jederman bekant weren. Darumb billich
niemand sich beschweren darf, den gebetenen ge-
vattern dem kirchendiener anzuzeigen, damit er
65 Augustinus, Serm. 265; MPL 39, 2238. Zur Tradi-
tion: Gratian, Dist. 4 can. 105 de cons.; ed. Fried-
berg 1394; Hyperius, De catechesi 3, Var. op. 1,
461f.
66 Vgl. Anm. 65; jedoch heißt der canon: Vos ante
omnia.
67 Zu dem kirchlichen Ehrenamt der Gevattern vgl.
W. Diehl, Zur Geschichte des Gottesdienstes 300.
68 Der folgende Abschnitt ist weitgehend aus der Kas-
seler KO 1539 übernommen, vgl. oben S. 116. Die
Gottesdienstordnung 1532 bietet noch kein eigenes
Taufformular, hinter ihr steht das Taufbüchlein
Luthers (oben S. 78), vgl. W. Diehl, Zur Ge-
schichte des Gottesdienstes 279ff. Das erste aus-
geführte Formular bringt der Erfurter Druck der

höre, ob er zuzulassen sei oder nit. So viel von den
gevattern.
Es68 sollen auch die pfarherrn sampt den elte-
sten und zuvoran die christliche oberkeit mit allem
ernst hie anhalten, daß aller weltlicher heidnischer
pracht und mißbrauch, schimpf und schauspiel, so
bei oder nach der h. taufe gehalten werden, es sei
mit unzüchtigem, prechtigem geschmuck oder mit
uberflüssigem zechen, oder was sich desgleichen al-
hie mit einschleifen möcht, vermieden werde. Denn
die vornemste zier der h. sacrament ist, wenn sie
nach Gottes wort schlecht und recht verhandelt wer-
den und die gemüter und herzen mit warem glauben
und anruffung zu Gott entzündet. Es soll auch der
schwerlich mißbrauch genzlich ab sein, do die vät-
ter sich selbst zum h. tauf nit verfügen. Denn die-
weil wir unsern kindern doher die tauf und wider-
geburt ins ewig leben verhoffen und entpfangen
söllen, daß der Herr will unser Gott und auch unsers
samens Gott und heiland sein in Christo, so ist ja
vonnöten, daß die eltern vor allen andern vor dem
Herrn erscheinen und die h. tauf vor ihre kinder
mit aller andacht und danksagung entpfahen, auch
ihre kinder bei guter zeit ohn weltliche geprenge
und aller maß also zur taufe bringen, wie sichs ge-
bürt denen, die bekennen, daß ihre kinder ihret-
halben in ewigen tod geboren und davon allein
durch den tod Christi, in den sie durch die h. tauf
itzt begraben werden, söllen die erlösung verhoffen
und des orts im h. tauf entpfahen wöllen.
Wenn nun die tauf einem, er sei alt oder jung69,
soll mitgeteilet werden, so geschehen mit andacht
vor der ganzen kirchen ordentlich diese ding, wie
folgt70.
Kasseler KO 1539. Weite Teile dieses Formulars sind
von Straßburger OO abhängig. Den liturgischen Teil
des Erfurter Druckes der Kasseler KO überuimmt
die KO 1566 fast vollständig. Ihr folgen dann die
späteren hess. Agenden.
69 Bemerkenswert ist das Taufverständnis, das diesem
Abschn. zugrunde liegt; zunächst wird von der Er-
wachsenentaufe gehandelt. Vgl. auch S. 268 Anm. 38.
70 Zu den liturgischen Teilen der Taufordnung: F. J.
W. Höfling, Das Sakrament der Taufe, 1846. 48;
W. Diehl, Zur Geschichte des Gottesdienstes und
der gottesdienstlichen Handlungen in Hessen, 1899;
F. Hubert, Die Straßburger liturgischen Ord-
nungen im Zeitalter der Reformation, 1900.

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