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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0324
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Kirchenordnung 1566

nach dem essen reichen und nemen den leib und das
blut des Herrn.
Diese ungleichheit haben wir derhalben anziehen
und etwas eigentlicher erzelen wöllen, daß ein jeder
gottseliger und verstendiger hieraus verstehen und
abnemen künt, daß die erste reine kirche die zeit
und tage, an welchen das abendmal des Herrn Chri-
sti möcht fruchtbarlich ausgeteilet und entpfangen
werden, hat für ein mittel- und freigelassen ding ge-
halten, und hat keine kirche die ander darumb, daß
sie in diesem teil nicht ubereinstimpt, verdammen
söllen, wie dann Hieronymus ausdrücklich sagt von
denen, so allen tag communicierten, er wolts weder
schelten noch loben. Und wiewol ihm diese weise nit
genzlich gefallen hat, dieweil es nit wol gleublich, daß
man allen tag sich prüfen und recht geschickt und
wirdig darzu machen künt, wie dann aus der epistel
ad Lucinium19 wol zu vernemen ist, so lest ers den-
noch bleiben und will keins gewissen hierin richten.
(a. R.: Regula) Und der heilige Augustinus ant-
wortet dem Januario20, welcher ihm unter allen an-
dern auch diese frage vorgehalten hat, also: Totum
hoc genus rerum liberas habet observationes, nec
disciplina ulla est in his melior gravi prudentique
Christiano, quam ut eo modo agat, quo agere viderit
Ecclesiam ad quamcumque forte devenerit. Quod
enim neque contra fidem, neque contra bonos mores
iniungitur, indifferenter est habendum et pro eorum
inter quos vivitur societate servandum. In dieser
und dergleichen sachen, spricht er, soll einem jeden,
was er will, zu tun freistehen, und kann sich hierin
ein standhaftiger und vernünftiger christ besser nit
vorsehen, dann daß ers mache uf die weise, wie er
sihet, daß es von der gemein, zu welcher er kompt,
gehalten wird. Dann so einem etwas uferlegt wird,
das da nit wider den glauben oder gute sitten ist,
soll vor ein mittelding und nach gelegenheit und
einigkeit deren, bei welchen man lebt, gehalten wer-
den. Derhalben so setzen wir auch kein gewisse zeit
und ziel, da man das heilig nachtmal zu halten und
ein jeder christ dasselbige zu gebrauchen verpflich-
tet sei, sondern richten diese action nach der kir-
chen eines jeden orts gelegenheit und stellen einem

19 Hieronymus, ep. 71, 6; MPL 22, 672; CSEL 55, 6.
20 Augustinus, ep. 54, 2, 2; MPL 33,200; CSEL 34,

jeden frommen christen frei, ihm die zeit zu erwelen,
da er sich in seinem herzen trostes am allernottürf-
tigsten und am besten den leib des Herrn zu under-
scheiden geschickt befindet. Wir gebrauchen aber
hierzu den sontag und etliche besondere feirtag, als
die man feste des Herrn Christi nennet21: Den tag
der geburt unsers Herrn Jesu Christi, den tag der
beschneidung des Herrn, den tag der erscheinung
Christi, den tag der opferung Christi, den tag der
verkündigung der menschwerdung Christi, den tag
der uferstehung, welchen man den Ostertag nennet,
den tag der himmelfart Christi, den tag der sendung
des heiligen Geists, der Pfingstag genent, den tag,
da Maria zu Elisabeth kompt, Visitationis genent,
item den andern nechstfolgenden tag nach dem
Christtag, Ostern und Pfingsten und den nechsten
donnerstag für Ostern, welchen die alten haben diem
Coenae Dominicae genant. Diese tage seind derhal-
ben zur action des heiligen nachtmals bestimpt, die-
weil alsdann das volk mehr und fleißiger zur kirchen
kompt und sich aller leiblichen gescheft eußert und
also desto besser und eigentlicher prüfen und zum
tisch des Herrn bereiten kann. Dieweil aber nicht
an allen ortern gleich große gemeine seind und man
nicht alwege communicanten haben kann, wird an
etlichen ortern beneben itzt gemelten festen allen
sontag das nachtmal des Herrn gehalten, so fern leut
verhanden, die es begeren, an etlichen allen monat,
an etlichen vier oder zum wenigsten drei mal im jar,
als uf den geburtstag des Herrn Christi, Ostertag
und Pfingstag, doch ohn superstition und aberglau-
ben, als solten diese tage im jar hierzu heiliger und
dienlicher sein dann andere. Dann wo solcher wohn
einreißen wolt, wie er ist vor etlichen jaren unter
dem bapstumb gewesen, mag man wol andere ge-
legene tage hierzu erwelen.
Wiewol wir aber niemand ein gewisses ziel setzen
oder den tag fürschreiben, an welchem er das heilig
nachtmal nemen soll, und hierin die gewissen nit ver-
stricken wöllen, so vermanen wir doch mit ganzem
fleiß und großem ernst, daß ein jeder christ den be-
felch unsers Herrn Jesu Christi und seine eigene not-
türftigkeit stetigs betrachten und sich nit seumig,
II, 160.
21 Vgl. oben S. 227.

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