Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0351
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kirchenordnung 1566

ihm kein andacht, kein gottesdienst, weder beten
noch anders gefallen lassen, weil wir in solchem
widerwillen und unbarmherzigkeit stehen. Darumb
vermanet er am andern ort so fleißig und heißt
[Eph 4, 26], man solt nicht ein nacht schlaffen in
solchem widerwillen. Da gedenke du nun, was für
sünde es allgereit sei, daß du solchen zorn so lange
zeit getragen hast und noch nicht gedenkst, faren zu
lassen. Solchs gedenk, lieber freund, was es für ein
schade deiner seel sei, wenn du für Gottes gericht
nicht solst gnad, sonder ungnad finden und Gott
eben mit deinen sünden tun will, wie du tust mit
den sünden deines nechsten wider dich.
Und zwar hast du ein vernunft, so sihe nur, was
richtest du mit aus, wenn du nicht vergeben wilt ?
Du ligst hie in fronfesten, in zweien tagen ist deines
lebens nimmer, was kann dein zorn deinen feinden
schaden, der doch deiner seel und seligkeit so treff-
lich schedlich ist ?
Darumb besinne dich: Es gilt dir, mir aber gilt
es nicht, sonder ich muß auch, will ich gnade haben,
allen den gnedig sein und vergeben, so ungnad und
zorn umb mich verdienet haben. Wilt du es aber
nicht tun und so beharren, so kann ich dir das sacra-
ment nicht mitteilen, welchs uns der höhesten liebe
und treu ermanet, so uns Christus bewiesen hat uns
zum exempel, daß wir auch unsern nechsten, ja den
feinden, dienen, vergeben und sie lieb haben sollen
etc.
Wo er sich noch nicht wolt erweichen lassen, soll
man ihn fragen: Lieber freund, ich sehe, daß es in
deinem herzen nicht ist, daß du gegen deinem wider-
sacher könnest ein freundlich herz haben. Sag mir
aber, möchtest du dirs nicht wünschen, daß du es
tun und ein solches herz bekommen möchtest ? Oder
were es dir ein dienst, so man Gott für dich bete,
daß er dir ein solch herz und gnade verliehe, daß
dein herz gegen deinen feinden stünde, wie des Herrn
Christi ist gestanden gegen seinen feinden, wie er
denn am kreuz betet für die, so ihn kreuzigen [Luk
23, 34] ?

37 Vgl. Kölnische Reformation 1543, Bl. 127.
38 Gregorius Naz., Oratio 43, 81 f.; MPG 36, 604f.
39 Epiphanius, Panarion haer. 71, 2. 3; MPG 42,
376 f.

Wenn er spricht, ja, er wolte, daß er auch also
wer, aber er befinde leider, daß er anders sei, da soll
man ihn selbs zum beten vermanen, daß er ein solch
herz von Gott begere, und alsdenn auf die gnade
Gottes, welche Gott niemand will versagen, ihm das
heilig sacrament geben und hoffen, Gott werde ihnen
erleuchten.
Auf diese weise mag man einfeltig in solchem fall
mit den armen handeln.
Vom begrebnus
Wie die begrebnus von anbeginn bei allen christen
im alten und neuen testament für gottselig und ehr-
lich gehalten ist worden, also kalten wirs hie auch
in unsern kirchen37.
Denn daß man die leichen der christen und gleu-
bigen ehrlich durch die hende anderer christen und
gleubigen zum grabe getragen habe, auch in der
ersten kirchen, bezeugt Nazianzenus, de funere Ba-
silii38; Epiphanius, lib. 3 tom. 1 haeresi 7139; Euseb.
lib. 7 cap. 6140; Origenes fib. 5 contra Celsum41.
Dergleichen daß man under dem hinaustragen
etliche psalmen darzu dienlich gesungen habe und,
nachdem die leich auf das begrebnus kommen, ein
sermon zur kirchen getan von der entschlaffenen
glauben und leben, auch bekantnus ihres glaubens
und ihrem gottseligen abscheid, darzu vom sterben
und auferstehung der toten, und dieselbig mit einem
kurzen gebet beschlossen, aber alles nur zur besse-
rung der gegenwertigen kirchen, dardurch sie in er-
kentnus ihrer selbst zu gottesforcht, auch gleubiger
hoffnung des künftigen lebens erweckt würde, also
haben sie auch die ihren zimfich, ehrlich und christ-
lich beweinet und beklaget, mit bedenken, was sie
etwa an ihnen gehabt, auch was rats, trosts, und
hilf ihnen von Gott durch ihr absterben entzogen,
nach dem nun ein jeder gewesen, derhalben ihr trau-
rigkeit mit der kleidung bezeuget, auch etwa almusen
gegeben nach dem begrebnus, wie das alles zu er-
sehen im Socrate, lib. 5 cap. 942; im Origine, fib. 3;
40 Euseb, Hist.eccl. 7,22; MPG 20, 689f.; GOS 9, II 680.
41 Origenes, Contra Cels. 5, 24; MPG 11,1217; GCS
Orig. 2, 25.
42 Socrates, Hist. eccl. 5, 9; MPG 67, 581.

335
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften