Agende 1574
Wie man die kranken besucken und die
communion bei ihnen halten soll27
Da der apostel Paulus sagt [Rm 15, 4]: Was ge-
schrieben ist, das ist uns zur lehr geschrieben, auf
daß wir durch geduld und trost der schrift hoffnung
haben, will er uns erinnern, die ganze heilige schrift
und was uns darin vorgehalten, befohlen, verheißen
und zugesagt wird, ja das ganze predigampt, so mit
verkiindigung göttliches worts und dispensation der
heiligen sacramenten, die Gott in seinem wort ge-
stift und verordenet hat, umbgehet, sei dahin ge-
richtet, daß wir die ganze zeit unsers lebens in aller
anfechtung wider sünde, tod, teufel und hehe war-
haftigen bestendigen trost haben und aiso bei der
seligen hoffnung des zukünftigen ewigen lebens blei-
ben und erkalten werden mögen. Wie nun die ganze
zeit dieses unsers lebens von wegen der angebornen
schwachheit, vielfaltiger list und gewalt des teufels
und manckerlei ergernus der welt, clardurck der
mensch, ob er gleich widergeboren ist, oftmals zur
sünden und besckwerung seines herzens und gewis-
sens angeregt und verursacht wird, wir dieses tro-
stes wider den teufel und tod, so uns gern gefangen
nehmen und zum abfall von Gott tringen wolten,
wol bediirfen, also seind wir seiner allermeisten not-
türftig, wann uns Gott mit schwachheit des leibs
heimsucht und sich unsere sachen dermaßen anle-
gen, daß wir uns des abscheids von dieser welt zu be-
sorgen haben. Dann dies ist der extremus actus, da
sich der teufel heftig bemühet und aile seine kunst,
macht und gewalt anwendet, daß er uns arme men-
schen vom waren glauben und vertrauwen zu Gott
abtringe und zur verzweifelung an Gottes gnade und
barmherzigkeit bewege. Wann er das erlangen kann,
so ist ihme seine sack geraten und muß der mensch
von seinem gott abgesondert, des teufels gefangener
in alle ewigkeit sein und bleiben. Darumb ist allhie
ritterlichs fechtens28 wol vonnöten, und söllen die
27 A verweist hier: Was nun weiter die besuchung der
kranken, den trost der gefangen und die christliche
begrebnus belangen tut, wurd es bei dem, so in der
neuen kirchenordnung gesetzt, pillich gelassen. -
Die Agende schließt sich jedoch nur im Abschnitt
Von besuchung, erinnerung und trost der gefangenen
(vgl. S. 449) der Kirchenordnung 1566 an und bietet
sowohl im Abschnitt liber den Krankenbesuch als
diener göttlichs worts, welchen Gott das ampt des
trostes vertrauwet und befohlen hat, wie sonst im
ganzen leben, also fürnemblick in dieser liohen not
ihre befoklene scheflein als die treuwe hirten nicht
verlassen, sondern bei sie treten, mit underweisen,
erinnern, vermanen, sacramentreichen allen mög-
lichen fieiß ankehren, daß sie wider alie anfechtung
der sünden, des teufels und des todes im glau-
ben bestendig bleiben und also bei dem rechten
waren trost erhalten werden. Dann ob wol der mensch
die ganze zeit seines lebens das ende bedenken und
sich mit anhörung und betrachtung göttlichs worts,
dergleichen mit stetigem gebrauck des hochwürdi-
gen abendmahls dermaßen gefaßt machen und ver-
waren soll, daß er in diesem letzten und heftigsten
kampf desto ritterhcher fechten und den sieg be-
halten möge, dieweil aber doch die schwacliheit
groß, der widersacker aber gewaltig und listig ist,
kompt man ihm billich mit den von Gott verordene-
ten mittel, durch welche er sich die ganze zeit seins
lebens gegen seinen mechtigen feind, den teufel, hat
aufhalten müssen, auch in dieser eußersten und liöch-
sten not zu hülf.
1. Derhalben söllen alle kirchendiener darauf fiei-
ßig warten und jederzeit willig und bereit sein, wann
sie zu den lrranken und sterbenden berufen werden,
sie mit Gottes wort und überreicliung des heiligen
nachtmals zu sterlren und zu trösten. Darzu hat man
viele sprüch beide, im alten und neuwen testament,
die uns fürhalten Gottes gnad und barmherziglceit
gegen alle bußfertige sünder und die gewisse lioff-
nung der auferstehung von den toten und des ewi-
gen lebens. Dies soll er den kranken mit großern
fLeiß und ernst vorhalten und sie damit gegen alle
zweifelung an Gottes glite und schrecken des teufels
und tods bewaren.
2. Doch soll er die besclieiclenheit brauchen, daß
er zuvor den kranken erinnere seines gewissens. Und
da er etwas bei ihm befünde, daß ihm insonderheit
auch in dem vom Begrähnis (vgl. S. 449) einen von
der Kirchenordnung 1566 abweichenden Text.
28 Zur Tradition des christlichen Ritters im Themen-
bestand der frühen reformatorischen Trost- und
Sterhehücher vgl. Luise Klein, Die Bereitung zum
Sterhen. Studien zu den frühen reformatorischen
Sterbebüchern. Diss theol. Göttingen 1958, S. 61 ff.
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Wie man die kranken besucken und die
communion bei ihnen halten soll27
Da der apostel Paulus sagt [Rm 15, 4]: Was ge-
schrieben ist, das ist uns zur lehr geschrieben, auf
daß wir durch geduld und trost der schrift hoffnung
haben, will er uns erinnern, die ganze heilige schrift
und was uns darin vorgehalten, befohlen, verheißen
und zugesagt wird, ja das ganze predigampt, so mit
verkiindigung göttliches worts und dispensation der
heiligen sacramenten, die Gott in seinem wort ge-
stift und verordenet hat, umbgehet, sei dahin ge-
richtet, daß wir die ganze zeit unsers lebens in aller
anfechtung wider sünde, tod, teufel und hehe war-
haftigen bestendigen trost haben und aiso bei der
seligen hoffnung des zukünftigen ewigen lebens blei-
ben und erkalten werden mögen. Wie nun die ganze
zeit dieses unsers lebens von wegen der angebornen
schwachheit, vielfaltiger list und gewalt des teufels
und manckerlei ergernus der welt, clardurck der
mensch, ob er gleich widergeboren ist, oftmals zur
sünden und besckwerung seines herzens und gewis-
sens angeregt und verursacht wird, wir dieses tro-
stes wider den teufel und tod, so uns gern gefangen
nehmen und zum abfall von Gott tringen wolten,
wol bediirfen, also seind wir seiner allermeisten not-
türftig, wann uns Gott mit schwachheit des leibs
heimsucht und sich unsere sachen dermaßen anle-
gen, daß wir uns des abscheids von dieser welt zu be-
sorgen haben. Dann dies ist der extremus actus, da
sich der teufel heftig bemühet und aile seine kunst,
macht und gewalt anwendet, daß er uns arme men-
schen vom waren glauben und vertrauwen zu Gott
abtringe und zur verzweifelung an Gottes gnade und
barmherzigkeit bewege. Wann er das erlangen kann,
so ist ihme seine sack geraten und muß der mensch
von seinem gott abgesondert, des teufels gefangener
in alle ewigkeit sein und bleiben. Darumb ist allhie
ritterlichs fechtens28 wol vonnöten, und söllen die
27 A verweist hier: Was nun weiter die besuchung der
kranken, den trost der gefangen und die christliche
begrebnus belangen tut, wurd es bei dem, so in der
neuen kirchenordnung gesetzt, pillich gelassen. -
Die Agende schließt sich jedoch nur im Abschnitt
Von besuchung, erinnerung und trost der gefangenen
(vgl. S. 449) der Kirchenordnung 1566 an und bietet
sowohl im Abschnitt liber den Krankenbesuch als
diener göttlichs worts, welchen Gott das ampt des
trostes vertrauwet und befohlen hat, wie sonst im
ganzen leben, also fürnemblick in dieser liohen not
ihre befoklene scheflein als die treuwe hirten nicht
verlassen, sondern bei sie treten, mit underweisen,
erinnern, vermanen, sacramentreichen allen mög-
lichen fieiß ankehren, daß sie wider alie anfechtung
der sünden, des teufels und des todes im glau-
ben bestendig bleiben und also bei dem rechten
waren trost erhalten werden. Dann ob wol der mensch
die ganze zeit seines lebens das ende bedenken und
sich mit anhörung und betrachtung göttlichs worts,
dergleichen mit stetigem gebrauck des hochwürdi-
gen abendmahls dermaßen gefaßt machen und ver-
waren soll, daß er in diesem letzten und heftigsten
kampf desto ritterhcher fechten und den sieg be-
halten möge, dieweil aber doch die schwacliheit
groß, der widersacker aber gewaltig und listig ist,
kompt man ihm billich mit den von Gott verordene-
ten mittel, durch welche er sich die ganze zeit seins
lebens gegen seinen mechtigen feind, den teufel, hat
aufhalten müssen, auch in dieser eußersten und liöch-
sten not zu hülf.
1. Derhalben söllen alle kirchendiener darauf fiei-
ßig warten und jederzeit willig und bereit sein, wann
sie zu den lrranken und sterbenden berufen werden,
sie mit Gottes wort und überreicliung des heiligen
nachtmals zu sterlren und zu trösten. Darzu hat man
viele sprüch beide, im alten und neuwen testament,
die uns fürhalten Gottes gnad und barmherziglceit
gegen alle bußfertige sünder und die gewisse lioff-
nung der auferstehung von den toten und des ewi-
gen lebens. Dies soll er den kranken mit großern
fLeiß und ernst vorhalten und sie damit gegen alle
zweifelung an Gottes glite und schrecken des teufels
und tods bewaren.
2. Doch soll er die besclieiclenheit brauchen, daß
er zuvor den kranken erinnere seines gewissens. Und
da er etwas bei ihm befünde, daß ihm insonderheit
auch in dem vom Begrähnis (vgl. S. 449) einen von
der Kirchenordnung 1566 abweichenden Text.
28 Zur Tradition des christlichen Ritters im Themen-
bestand der frühen reformatorischen Trost- und
Sterhehücher vgl. Luise Klein, Die Bereitung zum
Sterhen. Studien zu den frühen reformatorischen
Sterbebüchern. Diss theol. Göttingen 1958, S. 61 ff.
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