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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0472
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Agende 1574

2. Nach gehaltener predigt soli gesungen werden
Veni sancte spiritus, teutsch oder latinisch61, und
söllen under des der superintendens und der neuwe
pfarherr oder caplan für den altar treten, und soll
der superintendens nach vollendentem gesang ein
kurze vermanung tun zu dem vollc und darin anzei-
gen, wie daß dieser zu ihrem pfarherr oder caplan er-
wehlet, tügenlich erkant und ordentlich darzu he-
rufen sei, und man sei der hoffnung und zuversicht,
er werde die gemeine mit verkündigung göttlichs
worts und dispensation der hochwürdigen sacra-
menten treulich und fleißig versehen. Derowegen
der gemeine gebiiren wolt, ihm in sachen ihrer see-
len heil belangend gebiirliche obedientz und gehor-
sam zu leisten, wie er dann auch selbst sich ver-
pflichtet und verheißen hab, nach anweisung gött-
lichs worts alles, was zu ihrer seelen seligkeit notwen-
dig, dienlich und beförderlich sein mag, mit großem
ei’nst und fleiß fürzunemen und zu verrichten etc.
Darauf soll er sie vermanen zum gebet, und der zu-
vorgesetzten gebet62 eines ihnen vorsprechen.
Weiter soll er sagen:
Höret das heilige evangelion, welches uns be-
schreibet der heilige evangelist Johannes [2 Joh 20,
21-23]: Der Herr sagt zu seinen jüngern: Wie mich
mein himmlischer vater gesendet hat, also send ich
euch auch. Und als er solchs gesagt hatte, blies er
sie an und sprach: Nehmet hin den heiligen Geist,
welchen ihr die sünde erlasset, denen söllen sie er-
lassen sein, und welchen ihr die behaltet, denen söl-
len sie behalten sein.
Es mag auch der superintendens folgende epistel
nach gelegenheit der zeit und kirchen und umb meh-
rer und besserer erinnerung willen fiirlesen63:
Also schreibt sanct Paulus in der ersten epistel an
Timotheum am 3. capitel [1-7]: Das ist je gewißlich
wahr, so jemand ein bischofampt begeret, der be-
geret ein köstlicli werk. Es soll aber ein bischof un-
streflich sein, eines weibs mann, nüchtern, meßig,
sittig, gastfrei, lehrhaftig, nicht ein weinseufer, nicht
61 Veni sancte spiritus; vgl. Wackernagel I Nr. 281
S. 177; Martin Luther, Komm heiliger Geist, Herre
Gott; vgl. Wackernagel III Nr. 19 S. 14; Evgl.
Ivgb. 98.
62 Vgl. S. 419ff.
63 Aus Luthers Ordinationsformular 1535, WA 38,
425-427.

beißig, nicht unehrliche hantierung treiben, sonder
gelinde, nicht haderhaftig, nicht geizig, der seinem
eigenen hause wol fürstehe, der gehorsame kinder
habe mit afler erbarkeit. So aber jemand seinem
eigenen hause nicht weiß fürzustehen, wie wird er
die gemeine Gottes versorgen? Nicht ein neuwling,
auf daß er sich nicht aufblase und dem lesterer ins
urteil falle. Er muß aber auch ein gut zeugnus haben
von denen, die draußen seind, auf daß er nicht falle
dem lesterer in die schmach und stricke.
Also ermanet sanct Paulus die eltesten der ge-
meine zu Epheso [Act 20, 28-31]: So habt nun acht
auf euch selbest und auf die ganze herde, under wel-
che euch der heilige Geist gesetzt hat zu bischofen,
zu weiden die gemeine Gottes, welche er durch sein
eigen blut erworben hat. Dann das weiß ich, daß
nach meinem abscheid w^erden under euch kommen
greuliche wölfe, die der herde nicht schonen werden,
auch aus euch selbst werden aufstehen menner, die
da verkehrte lehr reden, die jünger an sich zu ziehen.
Darumb seid wacker und denlcet daran, daß ich
nicht abgelassen habe, drei jahr tag und nacht einen
jeglichen mit trenen zu ermanen.
Hierauf lasset uns herzlich bitten und sprecht mit
mir:
Barmherziger Gott64, himmlischer vater, du hast
durch den mund deines sohns, unsers Herren Jesu
Christi zu uns gesagt: Die ernte ist groß, aber wenig
seind der arbeiter, bittet den Herrn der ernte, daß
er arbeiter in seine ernte sende: Auf solchen deinen
göttlichen befelch bitten wir von herzen, du wöllest
diesem deinem diener sampt uns und allen, die zu
deinem wort berufen seind, deinen heiligen Geist
reichlich geben, daß wir mit großem haufen deine
ware diener, erkenner und bekenner seien, treu und
fest bleiben wider den teufel, welt und fleisch, damit
dein name geheiliget, dein reich gemehret, dein will
vollbracht werde. Wöllest auch dem leidigen greuel
des bapsts und mahomets, sampt andern rotten, so
deinen namen lestern, dein reich zerstören, deinem
64 Kollekte aus Luthers Ordinationsfonmilar 1535,
WA 38, 429-430. Vgl. P. Drews S. 104f. Die beiden
Teile, die in Luthers Ordinationsformular stehen,
sind hier für die Introduktion eines Pfarrers vor-
gesehen. Dafür ist das Kernstiick der alten Ordina-
tionshandlung, die Handauflegung, (vgl. WA 38,
429) hier fortgefallen.

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