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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (8. Band = Hessen, 1. Hälfte): Die gemeinsamen Ordnungen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.30457#0474
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Agende 1574

meinet sei, mit fleißiger treuwer einbildung, in was
gefahr ihrer seelen sie stehe, dieweil sie sich selbst
mit ihrer mißhandelung von der gemeinen versamb-
lung der christgleubigen ausgeschlossen habe. Und
da sie in solcber unbußfertigkeit beharren und sich
mit gott und seiner gemeine nicht versühnen lassen
würde, künd man sie nicht allein zum gebrauch der
heiligen sacrament und andern christlichen actioni-
bus nicht zulassen, sondern müßte auch in der gefahr
stehen, daß sie auf den fall, sie mit dem tod über-
eilet würde, also von Gott und allen rechten christen
ausgeschlossen sein iind bleiben und mit ihrer hals-
starrigkeit und widersetzung noch immerzu je len-
ger je mehr ausschließen würde.
Damit sie auch so viel desto williger und bereiter
sei, sich zur offentlichen poenitenz zu begeben, soll
man ihr mit fleiß fürhalten und einbilden die exem-
pel großer könige und keiser, die man in der kirchen-
historien beid, des alten und neuwen testaments,
findet, daß sie ihre buße auch offentlich bei den ih-
ren und andern leuten, bisweilen auch vor der gan-
zen gemeine zu beweisen und zu bezeugen sich nit
geschemet haben, als: Davidis, 2. Samuel. 12 [1 ff.];
Achab, 1. Reg. 21 [17ff.]; Joram, 2. Reg. 6 [30]; His-
kiae, 2. Reg. 19 [1 ff.]; Manasse, 2. Chron. 33 [1 ff.];
Theodosii apud Theodoretum lib.4. cap. 17. et 1869
und anderer dergleichen mehr.
Wann dann hiedurch die gefallene person sich
noch nicht bewegen lassen wih, kann man zur abso-
lution nicht kommen, soll ihr derwegen vier wochen
bedenkzeit gegeben und sie under dessen fleißig zur
kirchen zu gehen und Gottes wort mit gebtirender
attention und aufmerkung zu hören, vermanet wer-
den.
Zu ausgang der vier wochen söllen pfarherr und
seniores vielgedachte person widerumb ftimemen
und mit ihr handelen, wie jetzo vermeldet ist, und
soll neben gebürlichem ernst gegen ein solche hals-
starrige person auch dermaßen freundlichkeit und
ghmpf gebrauchet werden, daß sie selbst erkennen
und bezeugen müsse, daß anders nichts dann ihrer
seelen heil und wolfahrt gesucht werde. Und dieses
soll mit einer widerspenstigen person zum ersten,

69 Theodoretus, Hist. eccl. 5, 17. hzw. 18; MPG 82,
1282 ff. (cap. 17); GCS 19, 30 7 ff. (cap. 18).

andern und dritten mal geschehen. Und da sie sich
endlich begibt und weisen lasset, hat man sie gewon-
nen, und soll zum fürderlichsten zur absolution ge-
schritten werden. Da aber diese zum dritten mal ge-
habte der seniorn mühe unfruchtbar sein wolt, soll
es der pfarherr seinem superintendenten anzeigen
und von ihm, was weiter fürzunemen sei, bescheids
erwarten.
Wann sich nun die person, deren die offentliche
poenitenz vonnöten, gutwilhg finden lesset und er-
kennet aus angehörter erinnerung, daß sie Gott und
seiner kirchen einen demütigen fußfal zu tun und, da-
mit sie warhaftige absolution bekomme, umb verzei-
hung zu bitten schuldig ist, soll der pfarherr sie trö-
sten mit Gottes wort und, wann er sie so weit bracht,
daß sie glaubt, Gott werde ihr als einem bußfertigen
sünder oder sünderin gnedig sein und die begangene
sünde verzeihen, soll er ihm mit handgegebenen treu-
wen verheißen und zusagen lassen, daß sie hinforters
für diesem oder dergleichen ergerlichem fall und an-
dern sünden wider das gewissen mit Gottes hülf und
gnaden nach allem vermögen sich hüten und für-
sehen wolte und nach getaner vertröstung, wie sie
nach erforderung ihrer gelegenheit offentlich vor
der gemeine absolvirt werden solt, wes sie sich hin-
forters in der kirchen, wenn die absolution vorzu-
nemen ist, gehalten soll, freunchich underrichten.
Wann nun die zeit vorhanden, daß die poenitenz
des gefahenen bruders oder einer schwestern der
gemeine zu denunciren und die absolution offentlich
zu sprechen ist (welohs dann, so viel es immer müg-
lich, ahwegen in den predigten, da das abendmahl
des Herrn Jhesu Christi gehalten wird, billich ge-
schicht), soll die büßende person vor den altar treten
oder under dem predigstuhl stehen und allda mit all
ihren geberden ihr bußfertiges gemüt bezeugen und,
was der pfarherr ihrethalber der gemeine anzuzeigen
hat, mit demut und gedult anhören. Der pfarherr
aber soll vom predigstuhl, ehe dann er zur commu-
nion oder dispensation des nachtmals schreitet, des
vorgestelleten bußfertigen sünders reuwe, glauben,
zusage der besserung und bekehrung zu Gott an-
zeigen und ihm darauf die absolution sprechen und
mitteilen mit diesen oder dergleichen worten:
Gehebte im Herrn, es ist in dieser unserer ver-
samblung ein christlicher bruder oder schwester (hie

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