Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Arend, Sabine [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (9. Band = Hessen, 2): Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618 - Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein - Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30289#0052
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618

machte44 und sich schließlich mit dem lutherisch-brenzischen Charakter der dortigen Reformation identi-
fizierte.
Nachdem Ludwig IV. 1567 die selbständige Herrschaft in seinem Landesteil angetreten hatte, berief er
1576 den Theologen Aegidius Hunnius45 an die Marburger Universität. Hunnius kam aus Tübingen und
brachte von dort ein strenges Luthertum mit, das er binnen weniger Jahre auch in Hessen-Marburg ein-
führte.46 Trotz der lutherischen Ausrichtung von Ludwigs Reformation erließ der Landgraf keine neuen
Kirchenordnungen, sondern stützte sich weiterhin auf die Reformationsordnung von 1572 und die Agende
von 1574. Auch hierin zeigt sich die flexible konfessionelle Ausrichtung der hessischen Kirchenpolitik.
Obwohl die übrigen Landgrafen - vor allem Wilhelm IV. - Kritik an Ludwigs entschiedenem Luther-
anisierungskurs übten, ließ sich dieser nicht von seiner Überzeugung abbringen. Die Spaltung des einheit-
lichen hessischen Kirchenregiments war damit vorgezeichnet. Die kirchlichen Verhältnisse des Marburger
und Kasseler Landesteils entwickelten sich in den 1580er Jahren zu zwei konkurrierenden Landeskirchen
mit divergierenden theologischen Profilen. In Hessen-Marburg hing man der lutherischen Fürstengruppe
um Kursachsen und Württemberg, Pfalz-Neuburg und Brandenburg-Ansbach an und ließ das synodale
Prinzip zugunsten einer konsistorialen Praxis fallen.47

1. Reversformular für die Theologen der Universität Marburg [1583] (Text S. 49)

2. Artikel und Revers der Theologen an der Universität Marburg 7. Mai 1592 (Text S. 51)
Die Universität Marburg war eine der hessischen Samtinstitutionen, die nach dem Testament Philipps I.
seit 1567 von Wilhelm IV. und Ludwig IV., den Erben des Nieder- und Oberfürstentums, gemeinsam
verwaltet werden sollten.48 1583 stellten die Landgrafen zusammen mit ihren beiden jüngeren Brüdern
Georg I. und Philipp II. ein Revers (Nr. 1) für die nach Marburg berufenen Theologieprofessoren aus.
Hierin mussten sich diese verpflichten, hinsichtlich der Abendmahlslehre bestimmten Lehrschriften zu fol-
gen, nämlich der Bibel, der Confessio Augustana, den drei altkirchlichen Glaubensbekenntnissen, den
Schmalkaldischen Artikeln sowie dem Brief Papst Leos I. an Bischof Flavianus von Konstantinopel aus
dem Jahr 449. Ferner mussten sie versichern, keine den Inhalten dieser Schriften entgegenstehenden Lehren
zu verbreiten. Die Landgrafen beriefen sich in dem Revers auf den Konsens über die Lehrschriften, der 1577
auf dem Konvent in Treysa sowie 1578 und 1581 auf den Generalsynoden in Marburg und Kassel erzielt
worden war. Hintergrund war die Auseinandersetzung um die Ubiquitätslehre, also die Frage, ob Christus
beim Abendmahl auch gemäß seiner menschlichen Natur anwesend sei. Während der Arbeit an der Kon-
kordienformel war zwischen den Gnesiolutheranern, die die menschliche Anwesenheit Christi bejahten, und
den Kryptocalvinisten, die sie unter Verweis auf die Himmelfahrt ablehnten, ein Streit über die Ubiquität
entflammt.49 Zu dieser Auseinandersetzung hatte man auf dem Konvent 1577 und den beiden Generalsyn-
oden von 1578 und 1581 Stellung bezogen, indem man sich auf die genannten Lehrschriften geeinigt hatte,
die den wesentlichen Kern der Konkordienformel bildeten.50

44 Rudersdorf, Ludwig IV., S. 62-127; ders., Hessen,
S. 276; ders., Universitätsgründung, S. 61; ders., Erneue-
rung, S. 144-146; Press, Hessen, S. 281-284.
45 Aegidius Hunnius (1550-1603) hatte in Tübingen Theo-
logie studiert und wurde 1576 als Professor an die Uni-
versität Marburg berufen. 1592 ging er an die Universi-
tät Wittenberg. 1594 wurde er Oberpfarrer in Witten-
berg und Generalsuperintendent des kursächsischen
Reichskreises. 1599 wurde er nach Tübingen berufen,
Rudersdorf, Ludwig IV., S. 224-227; Weissgerber,
Hunnius, S. 1-89; Mahlmann, Hunnius, S. 703-707.
46 Noack, Georg I., S. 161; Ritter, Konfession, S. 140;

Rudersdorf, Ludwig IV., S. 224-227; ders., Hessen,
S. 277f.; ders., Universitätsgründung S. 57f.; ders.,
Erneuerung, S. 148f.; Heppe, Kirchengeschichte 1,
S. 438f.; Hermelink/Kaehler, Philipps-Universität,
S. 192-196; Menk, Absolutistisches Wollen, S. 169f.
47 Rudersdorf, Hessen, S. 278, 284f.; ders., Ludwig IV.,
S. 246 Anm. 131; ders., Universitätsgründung, S. 64f.
48 Rudersdorf, Universitätsgründung, S. 47.
49 Vgl. HDThG 2, S. 129-134; Seebass, Geschichte III,
S. 252f., 302, 305.
50 Siehe den Abschied der zwölften Generalsynode in Kas-
sel 1581, Sehling, EKO VIII, S. 390. Zu den langwie-

32
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften