Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Arend, Sabine [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (9. Band = Hessen, 2): Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618 - Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein - Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30289#0054
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618

4c. Hessen-Kassel: Wilhelm IV. (1567-1592) und Moritz (seit 1592)
Der 1532 geborene Wilhelm57 war der älteste Sohn Landgraf Philipps I. Nach der Landesteilung war ihm
das große Kasseler Land zugefallen. Nach dem Tod seines Bruders Philipp II. von Hessen-Rheinfels 1583
kam auch die Niedergrafschaft Katzenelnbogen zu seinem Territorium, die gegenüber dem relativ geschlos-
senen Gebietskomplex um Kassel eine Exklave am Rhein darstellte.
Anders als sein Bruder Ludwig IV. von Hessen-Marburg, der sich persönlich stark mit dem Luthertum
identifizierte und wenig kompromissbereit war, verfolgte Wilhelm einen „abgeklärten, mittleren Kurs,
mehr Melanchthon als Luther zugetan, mit Sympathien für das reformierte Bekenntnis“.58 Wilhelm mobi-
lisierte eine Gegenbewegung zur lutherischen Orthodoxie in Oberhessen, indem er reformiert gesinnte Theo-
logen wie Christoph Pezel und die Kryptocalvinisten Caspar Peucer, Caspar Cruciger d. J.,59 Lucas
May60 sowie Gregor Schönfeld61 anstellte. Vor einem offenen Übertritt zum Calvinismus, der ja durch den
Religionsfrieden 1555 reichsrechtlich nicht anerkannt war, scheute Wilhelm jedoch zurück.62
Sein Sohn Moritz63 wurde durch den Kasseler Hofprediger Caspar Cruciger d. J. in reformiertem Geist
erzogen.64 Nach dem Tod des Vaters 1592 übernahm Moritz die Regierung in Hessen-Kassel. Er führte
Wilhelms IV. religionspolitische Linie zunächst so fort, wie es dieser 1586 in seinem Testament65 bestimmt
hatte, ließ jedoch bereits erste Elemente seiner eigenen reformierten Überzeugung einfließen:66 Moritz
besetzte die Superintendentenstellen in Kassel (Gregor Schönfeld), Ziegenhain (Valentin Schoner),67
St. Goar (Christian Zindel)68 und Eschwege mit reformierten Theologen. Der leitende Theologe seines Lan-
des wurde 1595 Magister Georg Reinmann,69 der die Superintendentur Rotenburg bzw. Allendorf mit Sitz
in Eschwege erhielt.70

wig IV., S. 239; Schorn-Schütte, Prediger, S. 289-
293.
57 Zu Wilhelm IV. siehe Menk, Wilhelm IV.; ders., Zweite
Reformation, S. 161f.; Rommel, Geschichte V,
S. 452ff.; Rehm, Handbuch 2, S. 53-64; Zimmermann,
Staat, S. 8-17; Schulz, Wilhelm IV.; Demandt,
Geschichte, S. 238ff.; Press, Hessen, S. 274-281.
58 Rudersdorf, Hessen, S. 275. Wilhelm IV. stand in
Briefkontakt mit Theodor Beza in Genf, Heppe, Hein-
rich (Hg.), Epistolae, quas Theodorus Beza ad Wilhel-
mum IV. Hassiae Landgravium misit, Kassel 1863. Vgl.
Menk, Absolutistisches Wollen, S. 168, 178f.
59 Zu Caspar Cruciger siehe Schorn-Schütte, Prediger,
S. 331; Hütteroth/Milbradt, Pfarrer, S. 51f.
60 Zu Lucas May siehe Schorn-Schütte, Prediger, S. 332;
Hütteroth/Milbradt, Pfarrer, S. 217.
61 Gregor Schönfeld (1559-1628) studierte seit 1577 Theo-
logie in Wittenberg. Von 1592 bis 1607 war er Winckel-
manns Nachfolger als Hofprediger Wilhelms IV. in Kas-
sel, von 1600 bis 1607 dortiger Superintendent,
Schorn-Schütte, Prediger, S. 334; Gräf, Konfession,
S. 387f.; Hütteroth/Milbradt, Pfarrer, S. 316f.;
ADB 31, S. 299-302.
62 Griewank, Verbesserungswerk, S. 44; vgl. ders., Ver-
besserungspunkte, S. 11; Rudersdorf, Hessen, S. 279;
Ritter, Konfession, S. 173; Menk, Konfessionspolitik,
S. 103f.
63 Zu Landgraf Moritz siehe BBKL VI, Sp. 142f.; Press,
Hessen, S. 287-293; Perst, Lebensgang, S. 1-8; ADB
22, S. 268-283; Rommel, Geschichte VI, S. 297ff., De-
mandt, Geschichte, S. 245ff.
64 Arnold, Reform, S. 65 Anm. 17; Hofsommer, Verbes-

serungspunkte, S. 9-14; Menk, Zweite Reformation,
S. 163-165; ders., Absolutistisches Wollen, S. 173-176.
65 Abdruck in Kopp, Bruchstücke 2, S. 144ff.
66 Menk, Konfessionspolitik, S. 104.
67 Magister Valentin Schoner (1541-1611) hatte seit 1558
in Heidelberg studiert und war von 1576 bis 1605 Super-
intendent in Ziegenhain. Danach amtierte er bis zu sei-
nem Tod als erster Pfarrer und Superintendent in Mar-
burg, Hütteroth/Milbradt, Pfarrer, S. 315f.
68 Magister Christian Zindel (1560-1612) immatrikulierte
sich um 1579 in Marburg. Von 1586 bis 1589 war er Pfar-
rer in Friedewald, anschließend bis 1598 in Allendorf.
Am 24. Januar 1598 wurde er als Superintendent von
St. Goar in sein Amt eingeführt, das er bis zu seinem Tod
inne hatte. 1604 wurde er vorübergehend suspendiert,
weil er Moritz’ Verbesserungspunkte zunächst abgelehnt
hatte, sie aber schließlich doch einführte, Heldmann,
Diözese, S. 134f.; Hütteroth/Milbradt, Pfarrer,
S. 423; Ritter, Konfession, S. 513.
69 Magister Georg Reinmann (1539/40-1626) hatte in Mar-
burg studiert und 1560 den Magistergrad erworben.
Unter dem Hugenottenführer Louis I. de Bourbon
wirkte er als Feldprediger. Er war mit Theodor Beza und
Daniel Tossanus befreundet und bekannte sich wie diese
zum reformierten Glauben. Reinmann hatte zeitweise
die Rektoratsstelle an der Schule in Eschwege inne, er
war von 1570 bis 1579 dort Kaplan, anschließend bis
1603 Pfarrer an der Altstädter Kirche. Seit 1595 war er
Superintendent des Bezirks Rotenburg, Hütteroth/
Milbradt, Pfarrer, S. 276f.; Arnold, Reform, S. 66f.
und Anm. 24.
70 Arnold, Reform, S. 66.

34
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften