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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (9. Band = Hessen, 2): Die geteilte Landgrafschaft Hessen 1582-1618 - Grafschaften Waldeck, Solms, Erbach und Stolberg-Königstein - Reichsstädte Frankfurt, Friedberg, Gelnhausen und Wetzlar — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30289#0161
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12. Polizeiordnung [1574]

vast allenthalben uberhandt genommen und aber
wir uns biß dahero nicht allein vor unßer persohn
mit allem ernst bevließen, solche grewel vor Gott, so
viell menschlich und muglich, genzlich außzutilgen
und abzuschaffen, sondern auch unßern beampten
in unßer negst verfertigter peinlichen procesord-
nung13 genediglichen eingebunden, uf diejenigen, so
mit berurtem laster behafftet, gute achtung zu ge-
ben, so thun wir uns daselbst hin referiren und be-
vehlen allen und jeden unßern beampten hiermit
abermalß, das sie uber dießer und angeregten un-
ßern ordnungen zum trewlichstenn und vleißigsten
halten und, da sie in erfahrung bringen werden, das
jemandts mit vorgedachter laster einem, als mit
christallsehen, warsagern, segen, abergleubigern und
verbottenen kunsten, item | zauberey, unufhörli-
chem gottslestern und teglichem volsauffen, deß-
gleichen mit dem verfuhrischen irthumb der wieder-
teuffer umbgieng, solche person greiffen und gefeng-
lich eintziehen, damit sie ihre wollverdientte straff,
die ihnen nach gelegenheit und befindung an leib
und leben oder in andere wege vermöge viellgedach-
ter unßer, der gebruder, ordnung und reformation
wiederfahren soll, unnachläßig bekommen und ent-
pfangen.
[3.] Von abschaffung der ubermaß bey weinkauffen,
hochzeitten, kindtauffen und gastereyen,
auch abstellung der kirmeß
Wir seind nicht gemeintt14, christliche gebreuche
und ceremonien oder auch ehrliche gesellschafften
bei weinkeuffen, hochzeiten, kindtauffen und ga-
stereien ufzuheben, sondern die ubermaß und miß-
breuche, so allenthalben eingerießen, abzuschaffen,
darzu uns dan bewegtt, das wir befinden, welcher-
maßen nicht allein hierzu alle proviand zum theur-
sten ufgekauft und vertheurt, sondern auch also die
edle gaben Gottes, dero man sich mit | schuldiger
danckbarkeitt und meßigkeitt geprauchen solte,
13 Georg I. hatte 1575 zwei Strafgerichtsordnungen erlas-
sen, die „Ordnung, ... wie es hinführo in Peinlichen Sa-
chen sowohl mit dem Proceß, als der Execution soll ge-
halten werden“, und die „Ordnung, ... wie es hinführo in
Peinlichen Sachen mit denen Gerichtscosten und Zeh-
rung soll gehalten werden“. Beide gehen auf die hessische

zum schendtlichsten verschwendet und uf einmal
verthan werden, und dieweill die armen den reichen
in allem gleich thun wollen, sich so bald ihm anfang
ihrer ehe in verderblichen schaden und schulde stek-
ken.
Wiewoll auch die schenckung uf den hochzeitten
von den alten bedechtiglichen und zu dem ende woll
angestellet worden, das dardurch den jungen eheleu-
ten zu irer angehenden haußhaltung, welche anfeng-
lichs schwer ist, gestewret und geholffen werden sol-
te, so wird doch solchs nuehmehr geradt umbgewen-
det und von dem mehrern theiln der geladenen geste
allein voll- und uberflußig freßen und sauffen vor ihr
geschenck gesucht, also das die jenige eheleudt je
bißweilen ir ehesteur und patrimonium, so zu irer
haußhaltung und handthierung15 dienen solte, ein-
bussen und sich in unwiederbringlichs verderben
setzen mussen. Ebenmeßige gestaldt hats auch mit
denn kindtauffen und gastereien, daßjenige, damit
man noch lang hette haußhalten konne, uf einmahl
unnutzlich zupracht wirdt.
Dieweill uns dan nicht geburen will, solchem un-
christlichen und unordentlichem epicurischem leben
und weßen lenger zuzusehenn, | so setzen und ordnen
wir, unßern underthanen selbst zu gutem, das hin-
furo niemandts, er sei, wer er wölle (außerhalb un-
ßerer rethe und vom adell), zu einigem weinkauff
uber drei disch leuth, zur hochzeitt aber uber zehen
disch leuth, und uber einem disch nicht mehr dan
10 personen, es seien bludsfreunde16 oder nicht, be-
ruffen oder setzen soll, bey vermeidung ernster
straff, die wir nach gelegenheitt der verbrecher un-
nachläßig einpringen lassen wöllen, doch die ufwar-
ter und ander nötigs gesind, dero uber ein disch vol
nicht sein soll, außgescheiden. Unnd soll uf den
weinkauffen eine mahlzeitt allein und nicht uber
drei heupteßen neben dem keeß und obs gegeben
werden.

peinliche Halsgerichtsordnung von 1535 zurück,
Noack, Georg I., S. 150f.
14 Der Meinung, gewillt.
15 Gewerbe.
16 Blutsverwandte.

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