Die Reichsstadt Frankfurt
Als Verfasser der 46 Artikel gilt Dr. Gerhard Westerburg, ein intellektueller Vordenker und Anhänger
Andreas Karlstadts.29 Die Artikel, die am 22. April 1525 gedruckt worden waren, und die den Zwölf Arti-
keln der Bauern ähneln,30 dienten zahlreichen anderen Städten am Nieder- und Oberrhein, in der Wetterau,
in Nordhessen und Nordwestdeutschland, in denen es ebenfalls zu innerstädtischen Unruhen kam, als Vor-
lage für eigene Gravamina.31
Nach der unfreiwilligen Annahme der Artikel ging der Frankfurter Rat Ende April unter dem Druck der
Aufständischen an eine Reform des Kirchenwesens. Obwohl es zunächst danach aussah, dass dem Magistrat
die Führung der Stadt immer mehr entglitt, da er zeitweilig durch ein Zunftregiment (Bürgerausschuss)
ersetzt worden war, und darüber hinaus die Plünderung der Stadt durch den Neckar-Odenwälder Bauern-
haufen drohte, wendete sich das Blatt mit der Niederschlagung des Bauernaufstands. Der Frankfurter Rat
entmachtete den Bürgerausschuss und verwies Gerhard Westerburg der Stadt. Ende Mai war der Magistrat
wieder Herr der Lage, mit dem Eingreifen der Kurfürsten von der Pfalz und Trier in den Frankfurter
Zunftaufstand wurde die Obrigkeit der Reichsstadt vollends restituiert. Die 46 Artikel wurden im Juli 1525
widerrufen und die dadurch angestoßenen Reformen wieder rückgängig gemacht.32 Obwohl sie nur wenige
Monate in Geltung waren, gelten die Artikel als ein Schritt „zur Errichtung einer reformatorischen Neu-
ordnung in Frankfurt“.33 Die in den Artikeln beschriebenen Forderungen wurden schließlich mit Einfüh-
rung der Reformation durch den Rat nach 1533 umgesetzt.
1. Predigt- und Abendmahlsordnung 3. März 1530 (Text S. 495)
Trotz Niederschlagung des Frankfurter Zünfteaufruhrs im Frühsommer 1525 blieb der Wunsch nach Ein-
führung der Reformation unter der evangelischen Bevölkerung bestehen. Der Rat beugte sich den Forde-
rungen der wachsenden neugläubigen Gemeinde, indem er im Juni 1525 Dionysius Melander und Johann
Bernhard gen. Algesheimer als evangelische Prediger anstellte.34
Die Mehrheit der Ratsherren bekannte sich zwar selbst zur neuen Lehre, aufgrund der besonderen
außenpolitischen Konstellation unternahm sie jedoch keine aktiven Schritte zur Einführung der Reforma-
tion: Die Nähe zum Mainzer Erzbischof, dem einflussreichen Kardinal Albrecht von Brandenburg, die
Situation der Reichsstadt als Wahlort der deutschen Könige sowie die Sorge um den Entzug der kaiserlichen
Privilegien für die Handelsmessen verhinderten bis 1529, dass die Reformation obrigkeitlich vorangetrieben
wurde. Der Rat lavierte folglich zwischen den drängenden Wünschen der evangelischen Bevölkerung, von
der die stete Gefahr weiterer Rebellion ausging, auf der einen Seite und drohenden wirtschaftlicher Sank-
tionen durch den Kaiser auf der anderen.35
Die Unentschlossenheit des Rats zeigte sich Ende der 1520er Jahre auch an der Frage von Taufe und
Abendmahl. Nachdem seit 1527 immer wieder Kinder nach evangelischem Ritus getauft worden waren,36
29 Jahns, Frankfurt, S. 166; Kübel, Reformation, S. 35;
Schnettger, Reformation, S. 31; Dienst, Rat,
S. 111; Dechent, Kirchengeschichte 1, S. 108-110.
30 Jahns, Frankfurt, S. 169; Matthäus, Hamman, S. 316-
319, 328-338.
31 Jahns, Frankfurt, S. 166; Panzer, Sozialer Protest,
S. 205-212; Bauer, Bekenntnisstand (1922), S. 225f.
Vgl. die Wetzlarer Beschwerdeartikel, unten, S. 666.
32 Jahns, Frankfurt, S. 169-171. Der auf den 29. Juni
1525 datierte Versicherungsbrief des Rats an die Kurfür-
sten von Trier und der Pfalz sowie den Statthalter von
Mainz, die Artikel abzuschaffen und alles in vorigen
Stand zu setzen, ist abgedruckt bei Kirchner,
Geschichte 2, S. 524f.
33 Telschow, Alte Frankfurter Kirche, S. 8. Zur Inter-
pretation der 46 Artikel siehe Dienst, Rat, S. 111 f.;
ders., Stadtgemeinde, S. 101f.; Jahns, Bund, S. 38
Anm. 109.
34 Jahns, Bund, S. 405; Matthäus, Hamman, S. 356-
358; Bauer, Bekenntnisstand (1922), S. 226f. Zu den
beiden Predigern siehe Falk, Biographie, S. 325f.
35 Die zögerliche Haltung des Frankfurter Magistrats ist
der des Augsburger Rats vergleichbar. Auch in dieser
Reichsstadt wurde die reformatorische Bewegung aus
Sorge vor kaiserlichen Sanktionen gegen die Wirtschaft
bis 1529 zurückgedrängt, Jahns, Bund, S. 81, 246.
36 Anlässlich der ersten evangelischen Taufe am 16. Mai
1527 hatten die Prediger ein Taufformular ausgearbeitet,
das lediglich aus der chronikalischen Überlieferung
bekannt ist. Wolfgang Königstein berichtete in seinem
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Als Verfasser der 46 Artikel gilt Dr. Gerhard Westerburg, ein intellektueller Vordenker und Anhänger
Andreas Karlstadts.29 Die Artikel, die am 22. April 1525 gedruckt worden waren, und die den Zwölf Arti-
keln der Bauern ähneln,30 dienten zahlreichen anderen Städten am Nieder- und Oberrhein, in der Wetterau,
in Nordhessen und Nordwestdeutschland, in denen es ebenfalls zu innerstädtischen Unruhen kam, als Vor-
lage für eigene Gravamina.31
Nach der unfreiwilligen Annahme der Artikel ging der Frankfurter Rat Ende April unter dem Druck der
Aufständischen an eine Reform des Kirchenwesens. Obwohl es zunächst danach aussah, dass dem Magistrat
die Führung der Stadt immer mehr entglitt, da er zeitweilig durch ein Zunftregiment (Bürgerausschuss)
ersetzt worden war, und darüber hinaus die Plünderung der Stadt durch den Neckar-Odenwälder Bauern-
haufen drohte, wendete sich das Blatt mit der Niederschlagung des Bauernaufstands. Der Frankfurter Rat
entmachtete den Bürgerausschuss und verwies Gerhard Westerburg der Stadt. Ende Mai war der Magistrat
wieder Herr der Lage, mit dem Eingreifen der Kurfürsten von der Pfalz und Trier in den Frankfurter
Zunftaufstand wurde die Obrigkeit der Reichsstadt vollends restituiert. Die 46 Artikel wurden im Juli 1525
widerrufen und die dadurch angestoßenen Reformen wieder rückgängig gemacht.32 Obwohl sie nur wenige
Monate in Geltung waren, gelten die Artikel als ein Schritt „zur Errichtung einer reformatorischen Neu-
ordnung in Frankfurt“.33 Die in den Artikeln beschriebenen Forderungen wurden schließlich mit Einfüh-
rung der Reformation durch den Rat nach 1533 umgesetzt.
1. Predigt- und Abendmahlsordnung 3. März 1530 (Text S. 495)
Trotz Niederschlagung des Frankfurter Zünfteaufruhrs im Frühsommer 1525 blieb der Wunsch nach Ein-
führung der Reformation unter der evangelischen Bevölkerung bestehen. Der Rat beugte sich den Forde-
rungen der wachsenden neugläubigen Gemeinde, indem er im Juni 1525 Dionysius Melander und Johann
Bernhard gen. Algesheimer als evangelische Prediger anstellte.34
Die Mehrheit der Ratsherren bekannte sich zwar selbst zur neuen Lehre, aufgrund der besonderen
außenpolitischen Konstellation unternahm sie jedoch keine aktiven Schritte zur Einführung der Reforma-
tion: Die Nähe zum Mainzer Erzbischof, dem einflussreichen Kardinal Albrecht von Brandenburg, die
Situation der Reichsstadt als Wahlort der deutschen Könige sowie die Sorge um den Entzug der kaiserlichen
Privilegien für die Handelsmessen verhinderten bis 1529, dass die Reformation obrigkeitlich vorangetrieben
wurde. Der Rat lavierte folglich zwischen den drängenden Wünschen der evangelischen Bevölkerung, von
der die stete Gefahr weiterer Rebellion ausging, auf der einen Seite und drohenden wirtschaftlicher Sank-
tionen durch den Kaiser auf der anderen.35
Die Unentschlossenheit des Rats zeigte sich Ende der 1520er Jahre auch an der Frage von Taufe und
Abendmahl. Nachdem seit 1527 immer wieder Kinder nach evangelischem Ritus getauft worden waren,36
29 Jahns, Frankfurt, S. 166; Kübel, Reformation, S. 35;
Schnettger, Reformation, S. 31; Dienst, Rat,
S. 111; Dechent, Kirchengeschichte 1, S. 108-110.
30 Jahns, Frankfurt, S. 169; Matthäus, Hamman, S. 316-
319, 328-338.
31 Jahns, Frankfurt, S. 166; Panzer, Sozialer Protest,
S. 205-212; Bauer, Bekenntnisstand (1922), S. 225f.
Vgl. die Wetzlarer Beschwerdeartikel, unten, S. 666.
32 Jahns, Frankfurt, S. 169-171. Der auf den 29. Juni
1525 datierte Versicherungsbrief des Rats an die Kurfür-
sten von Trier und der Pfalz sowie den Statthalter von
Mainz, die Artikel abzuschaffen und alles in vorigen
Stand zu setzen, ist abgedruckt bei Kirchner,
Geschichte 2, S. 524f.
33 Telschow, Alte Frankfurter Kirche, S. 8. Zur Inter-
pretation der 46 Artikel siehe Dienst, Rat, S. 111 f.;
ders., Stadtgemeinde, S. 101f.; Jahns, Bund, S. 38
Anm. 109.
34 Jahns, Bund, S. 405; Matthäus, Hamman, S. 356-
358; Bauer, Bekenntnisstand (1922), S. 226f. Zu den
beiden Predigern siehe Falk, Biographie, S. 325f.
35 Die zögerliche Haltung des Frankfurter Magistrats ist
der des Augsburger Rats vergleichbar. Auch in dieser
Reichsstadt wurde die reformatorische Bewegung aus
Sorge vor kaiserlichen Sanktionen gegen die Wirtschaft
bis 1529 zurückgedrängt, Jahns, Bund, S. 81, 246.
36 Anlässlich der ersten evangelischen Taufe am 16. Mai
1527 hatten die Prediger ein Taufformular ausgearbeitet,
das lediglich aus der chronikalischen Überlieferung
bekannt ist. Wolfgang Königstein berichtete in seinem
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