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Einleitung
Immerhin, die Cauliten waren mit dieser Unübersichtlichkeit nicht allein - Struk-
turlosigkeit der Statuten scheint in kleineren, namentlich eremitisch geprägten Ge-
meinschaften sogar eher ein Strukturmerkmal darzustellen.107
Trotz ihres deutlichen Mankos an Übersichtlichkeit, besaßen die Statuten auch
im Orden der Cauliten enorme Geltung. Nur die Statuten konnten die Verände-
rung der im Liber Ordinarius und in den Konstitutionen festgehaltenen Grund-
gesetze, mithin selbst der Ordensstruktur, prospektiv in Kraft setzen.
Die Geltung der Statuten musste schon deshalb besonders sein, weil die Cauli-
ten zwar die Benediktsregel nutzten und dies auch in den Statuten immer wieder
betonten, dieser Text dennoch in vielerlei Hinsicht - anders als bei den Benedikti-
nern und Zisterziensern - zu weiten Teilen lediglich ein spiritueller Basistext blei-
ben konnte, den es bestmöglich mit dem eigenen propositum zu harmonisieren
galt. Dies spiegelt sich - der kartäusischen (wie überhaupt eremitischen) Tradi-
tion verpflichtet - in der Ablehnung des benediktinischen Abtstitels ebenso wie
in der hohen Zahl der Privatgebete, im Bewohnen von der Benediktsregel eigent-
lich zuwiderlaufenden Zellen oder in der Durchlöcherung der stabilitas loci durch
jenes System permanenter Versetzungen.
Im Hinblick auf die Befolgung der Benediktsregel unterschieden sich die Cau-
liten damit kaum von den ebenfalls eremitisch geprägten Wilhelmiten: Genau in
einer Zeit, in der die Cauliten den Wert der Regel neu einschärften (1249, 1254,
1266), pointierten auch die Wilhelmiten die Benediktsregel (hier vor allem in den
zisterziensisch geprägten Gesetzeswerken von 1251 und 1271) in exponierter Wei-
se.108 Während die Cauliten konkret jedoch die Regel ausschließlich bemühten,
um den Rat der Brüder und den Fleischverzehr für Kranke zu legitimieren, sie
sonst also in den Rechtstexten keine Rückkoppelung an den Alltag erfährt, ver-
wandten die Wilhelmiten die Regel mit zum Teil wörtlichen Zitaten zusätzlich
bezogen auf Eigenbesitz, diverse Schuldformen und auf den Umgang mit Flüch-
tigen.109
Beide - Cauliten und Wilhelmiten - sprachen in ihren Statuten wie die Zisterzi-
enser von der „heiligen Regel" und beispielsweise der „Lehrmeisterin Regel".110
107 Siehe meine Ausführungen in Sonntag, Die Statuten der Wilhelmiten, S. 26-27 und S. 46-47.
108 Zwischen 1251 und 1348 begegnen 13 Verweise auf die Benediktsregel. Vgl. Sonntag, Die Sta-
tuten der Wilhelmiten, S. 57.
109 Vgl. zusammenfassend ebenda.
110 Für die Wilhelmiten: „heilige Regel" (regula sancta) (B.1 und B.5 von 1271) und „Lehrmeisterin
Regel" (regula magistra) (E.4 von 1324). Vgl. ebenda, S. 175-176, 198-199, 270-271. Für die
Cauliten siehe die Bestimmungen A.27 (Übernahme von den Zisterziensern), 0.1 und vor allem
0.3.
Einleitung
Immerhin, die Cauliten waren mit dieser Unübersichtlichkeit nicht allein - Struk-
turlosigkeit der Statuten scheint in kleineren, namentlich eremitisch geprägten Ge-
meinschaften sogar eher ein Strukturmerkmal darzustellen.107
Trotz ihres deutlichen Mankos an Übersichtlichkeit, besaßen die Statuten auch
im Orden der Cauliten enorme Geltung. Nur die Statuten konnten die Verände-
rung der im Liber Ordinarius und in den Konstitutionen festgehaltenen Grund-
gesetze, mithin selbst der Ordensstruktur, prospektiv in Kraft setzen.
Die Geltung der Statuten musste schon deshalb besonders sein, weil die Cauli-
ten zwar die Benediktsregel nutzten und dies auch in den Statuten immer wieder
betonten, dieser Text dennoch in vielerlei Hinsicht - anders als bei den Benedikti-
nern und Zisterziensern - zu weiten Teilen lediglich ein spiritueller Basistext blei-
ben konnte, den es bestmöglich mit dem eigenen propositum zu harmonisieren
galt. Dies spiegelt sich - der kartäusischen (wie überhaupt eremitischen) Tradi-
tion verpflichtet - in der Ablehnung des benediktinischen Abtstitels ebenso wie
in der hohen Zahl der Privatgebete, im Bewohnen von der Benediktsregel eigent-
lich zuwiderlaufenden Zellen oder in der Durchlöcherung der stabilitas loci durch
jenes System permanenter Versetzungen.
Im Hinblick auf die Befolgung der Benediktsregel unterschieden sich die Cau-
liten damit kaum von den ebenfalls eremitisch geprägten Wilhelmiten: Genau in
einer Zeit, in der die Cauliten den Wert der Regel neu einschärften (1249, 1254,
1266), pointierten auch die Wilhelmiten die Benediktsregel (hier vor allem in den
zisterziensisch geprägten Gesetzeswerken von 1251 und 1271) in exponierter Wei-
se.108 Während die Cauliten konkret jedoch die Regel ausschließlich bemühten,
um den Rat der Brüder und den Fleischverzehr für Kranke zu legitimieren, sie
sonst also in den Rechtstexten keine Rückkoppelung an den Alltag erfährt, ver-
wandten die Wilhelmiten die Regel mit zum Teil wörtlichen Zitaten zusätzlich
bezogen auf Eigenbesitz, diverse Schuldformen und auf den Umgang mit Flüch-
tigen.109
Beide - Cauliten und Wilhelmiten - sprachen in ihren Statuten wie die Zisterzi-
enser von der „heiligen Regel" und beispielsweise der „Lehrmeisterin Regel".110
107 Siehe meine Ausführungen in Sonntag, Die Statuten der Wilhelmiten, S. 26-27 und S. 46-47.
108 Zwischen 1251 und 1348 begegnen 13 Verweise auf die Benediktsregel. Vgl. Sonntag, Die Sta-
tuten der Wilhelmiten, S. 57.
109 Vgl. zusammenfassend ebenda.
110 Für die Wilhelmiten: „heilige Regel" (regula sancta) (B.1 und B.5 von 1271) und „Lehrmeisterin
Regel" (regula magistra) (E.4 von 1324). Vgl. ebenda, S. 175-176, 198-199, 270-271. Für die
Cauliten siehe die Bestimmungen A.27 (Übernahme von den Zisterziensern), 0.1 und vor allem
0.3.