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Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0148
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144 | I. Die Abtei von Saint-Bertin

in Saint-Bertin nicht auf die gesamte Gemeinschaft Einfluss geübt zu haben, son-
dern lediglich auf einige (caeteris) der Mönche. Ob ihre Einflussnahme von der
Ausübung wichtiger Ämter herrührte, ist allerdings fraglich. Aus Simons weiteren
Ausführungen kann man nämlich schließen, dass beispielsweise das Amt des Groß-
priors offensichtlich nicht von einem Cluniazenser oder cluniazenserfreundlichen
Mönch bekleidet wurde, sondern von einem Bruder, der sich in der Folge ganz
offen für die Verteidigung der Freiheit Sithius einsetzte.626 Auch die spätere For-
derung des Pontius, alle Prioren der Abtei zu ihm zu schicken, um ihre Profess in
seine Hände abzulegen und dadurch jeglichen weiteren Verdacht des Ungehorsams
aus der Welt zu räumen, legt offen, dass zumindest 1111/12 die Schlüsselpositionen
in der Gemeinschaft nicht von cluniazensischen Professmönchen besetzt waren.627
Da die Cluniazenser in Saint-Bertin somit nicht primär durch ihr Amt Einfluss
üben konnten, ist es durchaus denkbar, dass dies durch andere Faktoren, wie bei-
spielsweise persönliche oder spirituelle Bande geschah.
Einige Jahre später, 1123 während der Krankheit Lamberts, hatte sich die Si-
tuation geändert.628 Die Führungskrise des Klosters hatte nach Simons Aussagen
nicht nur wirtschaftliche Einbußen zur Folge, sondern auch ein Nachlassen der
Disziplin und schließlich auch eine allgemeine Unruhe in der Gemeinschaft.629 Un-
ter den Mönchen sei über die Nachfolge des Abtes getuschelt worden, denn viele
hätten Ambitionen gehabt, in dieses Amt zu gelangen. Eine weit größere Unruhe
sei schließlich aufgekommen, weil einige der flandrischen Mönche, die die Profess
in Cluny abgelegt hatten, zusammen mit dem obersten Prior über das Kloster ge-
herrscht hätten (dominare).630 Um nun aber der allgemeinen Empörung entgegenzu-
626 Dies schließt freilich nicht ganz aus, dass auch der Großprior eventuell die Profess in Cluny abgelegt
haben könnte.
627 Simon, Gesta, II, c. 93, S. 653; eben in dieser Tatsache könnte auch der Missmut begründet liegen, der
sich in den Äußerungen der in Saint-Bertin lebenden Cluniazenser spiegelt, als Pontius nach Sithiu
kommen wollte. Auch Lamberts Angst, Rechenschaft ablegen zu müssen, könnte darin begründet sein,
dass er die wichtigen Positionen im Kloster nicht mit Cluniazensern besetzte, sondern sie stattdessen
für andere Zwecke, wie etwa die correctio anderer Klöster, verwendete.
628 Simon, Gesta, II, c. 106, S. 657: »Anno incarnati Verbi 1123. abbas Lambertus paralysi ex improviso per-
cussus, adeo dissolvitur, ut amissa loquela et media corporis parte debilitata, plus quam biennio, usque
ad obitum scilicet, languesceret.«
629 Zwischen 1124 und 1125 wurde die Grafschaft von einer schweren Hungersnot heimgesucht, der Karl
der Gute mit scharfen Maßnahmen entgegenzuwirken versuchte. Simons Bericht deckt sich in auffallen-
der Weise mit dieser Krise und verweist somit weniger auf Misswirtschaft als vielmehr auf eine natürli-
che Ursache. Zu dieser Hungersnot vgl. Galbert von Brügge, De multro, c. 2-3, S. 7-11.
630 Simon, Gesta, II, c. 106, S. 657: »Quo tempore cerneres omnia turbari et in antiquum chaos turbata
veile reverti. Dispensatores exteriorum, quorum manus eatenus superabundaverat, intus disciplinae dis-
solutio, de substituendo abbate musitatio, ad abbatiae ... multorum minhiabat ambitio; magisque in
hoc turbabantur, quia quidam fratres nostri, qui Cluniaci professionem fecerant, cum priore maiore in
hac aecclesia tune dominabantur.« Der Großprior war zu jener Zeit ein cluniazensischer Professmönch.
Vgl. dazu Simon, Gesta, II, c. 109, S. 657: »[...] remoto priore qui Cluniaci professus fuerat [...].«
 
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