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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0023
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2. Gegenstand: Das Gewissen

Einstimmen in diese Klagen kann an dieser Stelle verzichtet werden, da die vor-
liegende Arbeit nicht ,dem Gewissen* an und für sich, auch nicht dem Reden
über das Gewissen, sondern in historischer Perspektive vorrangig einem einzigen
Motiv gewidmet ist, wodurch sich der Bereich dessen, was mit dem Begriff be-
zeichnet ist, bereits deutlich verengt. Natürlich ist auch innerhalb des im Fokus
stehenden Ordnungsschemas vom Gewissen die Rede und damit von jenem per
se unbestimmten Begriff; dieser begegnet dabei aber nie als Abstraktum, sondern
immer in spezifischen Ausprägungen: gut und ruhig, gut und unruhig, schlecht
und ruhig oder schlecht und unruhig. Ein Gewissen aber, das mit diesen Charak-
teristika beschrieben werden kann, ist bereits durch die erfolgte Konkretisierung
in seiner Deutung begrenzt.
Dennoch soll nachfolgend zumindest kurz auf die Fülle der Bedeutungen
und die Vielfalt der Funktionen verwiesen werden, die mit dem Begriff,Gewis-
sen* gefasst wurden und werden, um immerhin den Möglichkeitshorizont auf-
zuzeigen. Dabei wird jedoch die Semantik des bloß faktischen Mit-Wissens
ohne ethische Transzendierung des Gewussten in der folgenden Darstellung
außen vor bleiben, insofern dem Begriff der conscientia in einem solchen
Zusammenhang wesentlich die Bedeutung eines bloßen ,Kenntnishabens* von
etwas zukommt.4
Dabei gilt es zugleich festzuhalten, dass die heute als „Gewissen“ bezeichneten
Phänomene mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in jenen europäischen und medi-
terranen Kulturen bekannt waren, die keinen oder einen grundsätzlich verschie-
denen Begriff für diese besaßen.5 Dies gilt für frühe Hochkulturen, wie die me-
sopotamische oder ägyptische, ebenso wie für das vorklassische und selbst noch
das klassische Griechenland.6 Das bekannteste Beispiel eines solchen Noch-

beim Durchblick der Literatur problemlos finden. „Der Entschluß, [das Gewissen] objektiv zu
erfassen, hat“, so Stefan Hübsch, „zum Verlust seiner Gegenständlichkeit geführt“. St. Hübsch,
Philosophie und Gewissen, S. 37.
4 Vgl. die Dokumentation entsprechender Textbefunde noch für das Mittelalter bei R. Linde-
mann, Der Begriff der conscience, S. 24-35.
5 Für außereuropäische und nichtchristliche Kulturen stellt sich dieser Befund hingegen deutlich
anders dar. Vgl. hierzu im Überblick den Sammelband von J. Hoose, Conscience in World Religi-
ons, darin insbesondere die Beiträge von Ron Geaves über Islam and Conscience sowie George
D. Chryssides über Buddhism and Conscience.
6 Vgl. z. B. H. Chadwick, GetAssen; O. Seel, Zur Vorgeschichte des Gewissens-Begriffs', J. H.
Breasted, Die Geburt des Gewissens. Für die griechische Kultur vgl. v. a. A. Cancrini, Synei-
desis sowie R. Sorabji, Graeco Roman Origins, S. 362-77; für die stoische Philosophie vgl.
M. Forschner, Stoische Oikeiosislehre, S. 129-35, mit weiteren Hinweisen.
 
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