Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0022
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2. GEGENSTAND: DAS GEWISSEN

Es wird im folgenden Abschnitt nicht darum gehen können, eine historische
Semantik von conscientia zu präsentieren. Dies wäre weder sinnvoll noch mög-
lich.1 Wohl aber sollen einige Traditionslinien aufgezeigt werden, die für das hier
im Fokus stehende Motiv der vier Gewissensarten prägend waren oder doch zu-
mindest helfen können, es zu akzentuieren.
2.1 Begriffliche Traditionen:
Syneidesis, Conscientia, Synderesis, Gewissen
Wie wohl alle Begriffe, die nicht auf ein konkretes oder gar manifestes Korrelat
bezogen sind, ist auch der des ,Gewissens* von schillernder Natur, und es gehört
schon seit längerer Zeit zu einem Standardmotiv, auf das „Vieldeutigkeitslaby-
rinth“2 zu verweisen, das man bei jeder Beschäftigung mit ihm betritt.3 Auf ein
1 Auf die Uferlosigkeit solchen Bemühens (egal für welchen Begriff) verwies Koselleck: „So-
bald man beginnt, die Kontexte, in denen die Bedeutung individueller Begriffe analysiert wer-
den könnte, zu betrachten, gibt es keine Grenzen mehr. Man beginnt mit dem Paragraphen, in
dem der Begriff erwähnt wird. Von diesem Paragraphen geht man über zum ganzen Buch. Vom
Buch ist es nur ein kleiner Schritt in die gesamte soziale und politische Debatte der untersuch-
ten historischen Periode, denn alle Begriffe beziehen sich auf unterschiedliche Weise auf andere
zeitgenössische Begriffe, z. B. auf ihre Gegenbegriffe. [...] Man endet in anderen Worten letzt-
lich in der Analyse aller Aspekte einer Sprache zu einem gewissen Zeitpunkt im historischen
Prozess.“ R. Koselleck, Hinweise auf die temporalen Strukturen, S. 32.
2 So formulierte es schon 1925 H. G. Stoker, Gewissen, S. 4. Vgl. ebd. S. 5-56. Franz Fromhol-
zer sprach unlängst von der „Polyphonie des Gewissens“: Gefangen im Gewissen, S. 23-9.
3 Bereits 300 Jahre vor Stoker hatte der Puritaner John Jackson (f 1648) bemerkt: „Conscience
hath a thousand definitions and descriptions. A man would thinke there were much Conscience
in the world, to consider all the books, that are written of the nature and cases of Conscience.“
J. Jackson, The Book of Conscience, S. 12. Im Jahr 1824 hatte Stäudlin in einer der ersten
,Gewissensgeschichten' die „Vieldeutigkeit des Wortes“ als „Einschränkung“ jeder Beschäfti-
gung benannt: C. F. Stäudlin, Geschichte der Lehre von dem Gewissen, S. 4. Später erklärte
Richard Rothe für seine Theologische Ethik das Fehlen des Begriffs „Gewissen“ in seinem
Werk damit, dass er sich „grundsätzlich desselben enthaltefn]“ weil er „ihn als einen wissen-
schaftlich unanwendbaren betrachtefn]“. Stattdessen fasst er den Inhalt dessen, was als Gewis-
sen bezeichnet werde, als „moralisches Gefühl, moralischefn] Sinn, moralischefn] Trieb und
moralische Kraft, und: religiöses Gefühl, religiösefn] Sinn, religiösefn] Trieb und religiöse
Kraft“. R. Rothe, Theologische Ethik, Bd. 2, S. 21-3. Vgl. z. B. auch R. Hofmann, Die Lehre
von dem Gewissen (1866), S. 3f.; J.-G. Blühdorn, Einleitung, S. 4f., der auf zahlreiche weitere
Stellungnahmen verweist, die hier nicht wiederholt werden sollen. Weitere Belege lassen sich
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften