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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0031
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2. Gegenstand: Das Gewissen

den oder Zorn überwältigt und mitunter von etwas getäuscht werden, das dem
Verstand ähnelt.“53
Hieronymus gebrauchte jedoch zur Bezeichnung des ,Gewissens* nicht nur das
griechische syneidesis, sondern ebenso und mit eigenem Akzent das lateinische
Wort conscientia und meinte im gleichen Kapitel, dass diese conscientia sehr wohl
verloren gehen könne, was er ja für die syneidesis zuvor noch verneint hatte:
„Und doch sehen wir deutlich, daß sogar dieses Gewissen [conscientia] [...] bei
manchen Menschen, die in ihren Vergehen weder Scham noch Scheu zeigen, stürzt
und seine Stellung verliert.“54
Er unterschied also in den Augen seiner Leser zwei Arten des Gewissens - ein
verlierbares und ein unverlierbares -, wobei er zwei eigentlich gleichbedeutende
Begriffe gebrauchte, deren Unterschied zunächst nur darin bestand, zwei ver-
schiedenen Sprachen zuzugehören: syneidesis und conscientia.55 Aus dieser
sprachlichen Unklarheit erwuchs in der Rezeption des 12. Jahrhunderts jedoch
eine sachliche Differenz, hervorgerufen wahrscheinlich durch einen Abschreib-
fehler, der wohl durch Kopien rasch weiter verbreitet wurde. In dessen Folge las
man statt syneidesis nun synteresis / synderesis - ein Wort, das es im Griechischen
mit einer solchen Bedeutung eigentlich nicht gab.56 Damit wurde die semantische
Einheit von syneidesis und conscientia gewahrt, insofern neben diese beiden
Begriffe die synderesis als Neologismus trat.

53 „[...] quam Graeci vocant ouveiör|Oic; - quae scintilla conscientiae in Cain quoque pectore, post-
quam eiectus est de paradiso, non extinguitur, et, victi voluptatibus vel furore, ipsaque interdum
rationis decepti similitudinis, nos peccare sentimus [...].“ Hieronymus, In Hiezechielem, 1.1,
6-8, S. 12. Übersetzung nach: M. Forschner, Stoische Oikeiosislehre, S. 136f. Vgl. auch die
Übersetzung von U. Störmer-Caysa, Über das Gewissen, S. 51.
54 „Et tarnen hanc quoque ipsam conscientiam [...] cernimus praecipitari apud quosdam et suum
locum amittere, qui ne pudorem quidem et verecundiam habent in delictis [...].“ Hieronymus,
In Hiezechielem, 1.1, 6-8, S. 12. Übersetzung nach: M. Forschner, Stoische Oikeiosislehre,
S. 137. Vgl. auch die Übersetzung von U. Störmer-Caysa, Über das Gewissen, S. 51.
55 Zu den entsprechenden Bedeutungen von syneidesis und conscientia vgl. v. a. J.-G. Blühdorn,
„Gewissem“, hier Abschnitt 2: Zur Geschichte des Wort- und Begriffsgebrauchs, S. 197-201. J.
Müller, Willensschwäche, S. 290, spricht von dieser HiERONYMUS-Passage als „Problemtext,
der für spätere Interpreten mehr Fragen aufwirft, als er selbst beantwortet“.
56 Vgl. zur Theorie vom Schreibfehler: R. Leiber, Name und Begriff, sowie (Leiber gegen zwi-
schenzeitliche Einwände verteidigend) M. Waldmann, Synteresis oder Syneidesis. Den Text
eines Magister Udo, mit dem die Karriere von synderesis wahrscheinlich begann, präsentierte
schließlich O. Lottin, Psychologie et morale, Bd. 2.1, S. 105-10.
 
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