2.2 Erkenntnisinteressen: Philosophie und Seelsorge
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13.5). Für ihn war das Gewissen (syneidesis) weder ein „prinzipielles Wissen um
Gut und Böse“ noch im konkreten Fall handlungsleitend, sondern eben jene In-
stanz, die nachträglich beurteilt, d. h. ,erforscht* und ,prüft‘.80
Bereits im frühen Mönchtum hatte man sich den paulinischen Aufruf zu eigen
gemacht. So mahnte der Mönchsvater Antonius (f 356) seine Brüder unter Bezug
auf jene Stelle im 2. Korinth erbrief, dass ein jeder seine Handlungen und jede
Regung der Seele beobachten und so niederschreiben sollte, als wollte er diese
seinem Nächsten offenbaren.81 Abt Dorotheos von Gaza (f 565) empfahl gar
eine regelmäßige Gewissenserforschung im Abstand von sechs Stunden.82
Zurückhaltender in der Intensität, aber identisch im Anliegen waren die Collatio-
nes des Johannes Cassian (f ca. 435). Ambrosius (f 397), Augustinus oder
Gregor der Grosse - sie alle erklärten die Innenschau des Menschen, den Blick
auf das eigene Gewissen, für unerlässlich.83 Jenen religiösen Virtuosen musste ihr
Leben als existentielle Bedrohung der Seele erscheinen - eine Bedrohung, in der
sie, von Reue getrieben, ihr Innerstes erforschten.84
Damit stand das Mönchtum, wie Pierre Hadot zeigte, in der antiken Tradi-
tion einer „gelebten“ Philosophie: Die praktizierten Exerzitien der Selbstprü-
fung und Gewissenserforschung waren Ausdruck einer christlichen philoso-
phiaf5 Im Unterschied zu den abstrakten Diskussionen auf begrifflicher Ebene,
wie sie an den Schulen stattfanden, hatten die Religiösen ihre eigene conscientia
und damit sich selbst zum Gegenstand ihrer Beschäftigung mit dem Gewissen
gemacht.86 Für sie war der Zweifel Daseinsphänomen, nicht Kategorienproblem.
In ihrer methodischen Praxis hatte die Gewissensprüfung im Religiosentum
selbst die Gestalt und Funktion einer Übung angenommen, die methodisch trai-
80 Vgl. H.-J. Eckstein, Der Begriff Syneidesis, S. 312
81 „Cotidie singuli nostrum actuum cotidianorum, interdianorum, et nocturnorum, a nobis ipsis
accipiamus rationem, et acceptam rationem si quis viderit se pecasse, quiescat. [...] actus nost-
rum et motus animi singuli nostrum notemus et scribamus quasi indicantes proximis nostris.“
Vita Antonii, cap. 55, S. 110, 112.
82 Dorotheos von Gaza, Doctrinae diversae, doctr. 11.117, Bd. 2, S. 337, 339.
83 Vgl. H. Chadwick, Gewissen, Sp. 1091-6; J.-Cl. Guy, Examen de Conscience III.
84 In einem eindrücklichen Fall eigenen Erlebens beschreibt dies der Benediktiner Rodulf
Glaber, Historiarum libri quinque, lib. V, cap. 2, S. 218. Vgl. zu dieser Szene A. Angenendt,
Geschichte der Religiosität, S. 152. Zu entsprechenden Passagen in der mittelhochdeutschen
Epik, vgl. D. Kartschoke, Der epische Held. Zur Reue als Movens des Gewissens in der
Patristik vgl. die Quellenübersicht bei Ph. Delhaye, Le probleme, S. 65-71.
85 P. Hadot, Philosophie als Lebensform, S. 170f. Vgl. hierzu - speziell mit Fokus auf das Gewis-
sen - auch Th. Kobusch, Christliche Philosophie, S. 118-23.
86 „La sensibilite psychologique et morale ä la conscience, ä son irreducible subjectivite, ä ses
criteres, sera l’un des plus significatifs effets de ses decouvertes et comme leur commun deno-
minateur. L’homme se decouvre comme sujet.“ M.-D. Chenu, L’eveil de la conscience, S. 15.
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13.5). Für ihn war das Gewissen (syneidesis) weder ein „prinzipielles Wissen um
Gut und Böse“ noch im konkreten Fall handlungsleitend, sondern eben jene In-
stanz, die nachträglich beurteilt, d. h. ,erforscht* und ,prüft‘.80
Bereits im frühen Mönchtum hatte man sich den paulinischen Aufruf zu eigen
gemacht. So mahnte der Mönchsvater Antonius (f 356) seine Brüder unter Bezug
auf jene Stelle im 2. Korinth erbrief, dass ein jeder seine Handlungen und jede
Regung der Seele beobachten und so niederschreiben sollte, als wollte er diese
seinem Nächsten offenbaren.81 Abt Dorotheos von Gaza (f 565) empfahl gar
eine regelmäßige Gewissenserforschung im Abstand von sechs Stunden.82
Zurückhaltender in der Intensität, aber identisch im Anliegen waren die Collatio-
nes des Johannes Cassian (f ca. 435). Ambrosius (f 397), Augustinus oder
Gregor der Grosse - sie alle erklärten die Innenschau des Menschen, den Blick
auf das eigene Gewissen, für unerlässlich.83 Jenen religiösen Virtuosen musste ihr
Leben als existentielle Bedrohung der Seele erscheinen - eine Bedrohung, in der
sie, von Reue getrieben, ihr Innerstes erforschten.84
Damit stand das Mönchtum, wie Pierre Hadot zeigte, in der antiken Tradi-
tion einer „gelebten“ Philosophie: Die praktizierten Exerzitien der Selbstprü-
fung und Gewissenserforschung waren Ausdruck einer christlichen philoso-
phiaf5 Im Unterschied zu den abstrakten Diskussionen auf begrifflicher Ebene,
wie sie an den Schulen stattfanden, hatten die Religiösen ihre eigene conscientia
und damit sich selbst zum Gegenstand ihrer Beschäftigung mit dem Gewissen
gemacht.86 Für sie war der Zweifel Daseinsphänomen, nicht Kategorienproblem.
In ihrer methodischen Praxis hatte die Gewissensprüfung im Religiosentum
selbst die Gestalt und Funktion einer Übung angenommen, die methodisch trai-
80 Vgl. H.-J. Eckstein, Der Begriff Syneidesis, S. 312
81 „Cotidie singuli nostrum actuum cotidianorum, interdianorum, et nocturnorum, a nobis ipsis
accipiamus rationem, et acceptam rationem si quis viderit se pecasse, quiescat. [...] actus nost-
rum et motus animi singuli nostrum notemus et scribamus quasi indicantes proximis nostris.“
Vita Antonii, cap. 55, S. 110, 112.
82 Dorotheos von Gaza, Doctrinae diversae, doctr. 11.117, Bd. 2, S. 337, 339.
83 Vgl. H. Chadwick, Gewissen, Sp. 1091-6; J.-Cl. Guy, Examen de Conscience III.
84 In einem eindrücklichen Fall eigenen Erlebens beschreibt dies der Benediktiner Rodulf
Glaber, Historiarum libri quinque, lib. V, cap. 2, S. 218. Vgl. zu dieser Szene A. Angenendt,
Geschichte der Religiosität, S. 152. Zu entsprechenden Passagen in der mittelhochdeutschen
Epik, vgl. D. Kartschoke, Der epische Held. Zur Reue als Movens des Gewissens in der
Patristik vgl. die Quellenübersicht bei Ph. Delhaye, Le probleme, S. 65-71.
85 P. Hadot, Philosophie als Lebensform, S. 170f. Vgl. hierzu - speziell mit Fokus auf das Gewis-
sen - auch Th. Kobusch, Christliche Philosophie, S. 118-23.
86 „La sensibilite psychologique et morale ä la conscience, ä son irreducible subjectivite, ä ses
criteres, sera l’un des plus significatifs effets de ses decouvertes et comme leur commun deno-
minateur. L’homme se decouvre comme sujet.“ M.-D. Chenu, L’eveil de la conscience, S. 15.