Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0037
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
36

2. Gegenstand: Das Gewissen

niert werden musste.87 Texte, wie der hier im besonderen Fokus stehende Von
den vier Arten der Gewissen, aber auch der Vom inneren Haus, sollten genau an
diesem Punkt ansetzen und ihre Leser beim Erlangen einer für diese examinatio
angemessenen Disposition anleiten, sollten ihm Beistand geben, wenn er fühlte
zu versagen.
Ausweislich ihrer außerordentlich reichen handschriftlichen Überlieferung,
bestand ein großer Bedarf an diesen Schriften.88 Doch obwohl sie zu den am
häufigsten überlieferten Texten des Mittelalters zählen, sind sie bisher kaum er-
forscht. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil es sich bei ihnen häufig um
Werke handelt, die Bernhard von Clairvaux zugeschrieben wurden, der -
vorsichtig formuliert - nicht zu den vernachlässigten Figuren der historischen
Forschung zählt.89 Neben ihm dienten auch Augustinus, Anselm von Canter-
bury (f 1109), Hugo (f 1141) und Richard von St. Viktor (f 1173) oder
Bonaventura (f 1274) als Referenzfiguren. Ihnen wurde mit Vorliebe nicht nur
,gewissensbildende* Literatur attribuiert, sondern man schrieb ihnen auch gene-
rell Texte zu, deren Inhalte den Erwartungshorizonten entsprachen, die mit dem
entsprechenden Namen verbunden waren. Eine vermehrte Zuschreibung ver-
schiedener Arten von Texten an einen Autor verbreiterte dabei zugleich das
Spektrum dessen, was für diesen künftighin als typisch angesehen wurde.
Innerhalb dieses reichen Schrifttums nahmen Gewissensfragen einen zentralen
Raum ein.90 Nicht dergestalt, dass alle Werke bereits conscientia im Titel trugen,
wohl aber waren sie alle mittelbar mit Fragen des Gewissens verbunden, weil es
in ihnen um den Einzelnen ging: um seinen Willen, seine Schuld, seine Reue, um
87 Zum Motiv des asketischen Trainings vgl. H. Fichtenau, Askese und Laster, S. 21. Zum histo-
rischen Zusammenhang von Gewissensprüfung und vita religiosa vgl. G. Melville, Der Mönch
als Rebell, S. 172-86. In der Handschrift Leipzig, UB, MS 841, 80v—81v wird dieser Zusammen-
hang eindeutig in einem kleinen, mit Quomodo religiosus debeat confiteri überschriebenen
Traktat formuliert: Quicumque in religione ut puritatem cordis et conscientiam ordinatam ac-
quirat, omni die vel ad minus alterius diebus confiteatur. (80v).
88 Vgl. neben den Angaben zu De interiori domo unten S. 93, Anm. 72 v. a. den Überblick in IL-
WV, doch können die hier gegebenen Handschriftenverzeichnisse in vielen Fällen ohne große
Mühe ergänzt werden. Im Vergleich verschiedener Textgattungen vgl. die Angaben zur Überlie-
ferung bei B. Vollmann, Edition von Texten, S. 87, Anm. 5. Für die Überlieferung ps.-augusti-
nischer Schriften vgl. das seit 1969 von der ÖAW herausgegebene Repertorium der handschrift-
lichen Überlieferung der Werke des Augustinus, in das erfreulicherweise auch viele dem
Kirchenvater nur zugeschriebene Texte aufgenommen wurden. Programmatisch hierzu M. de
Kroon, Pseudo-Augustin. Vgl. auch unten S. 76, Anm. 71 weitere Titel, die Überblicke geben.
89 P. Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux, S. 370, konnte im Jahr 1998 resümieren: „die spe-
ziell auf Bernhard bezogene Literatur umfaßt z. Z. mindestens um die 4500 Titel“, und seitdem
sind fast 20 Jahre vergangen...
90 Vgl. im Überblick: E. Bertola, IIproblema della coscienza. Zum ,Sitz im Leben' dieser Texte:
G. Melville, Der Mönch als Rebell, S. 172ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften