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2. Gegenstand: Das Gewissen
„doch soll er nicht unaufhörlich quälen. Ja, er soll durch die freudigere Erinnerung
an die göttliche Güte unterbrochen werden, damit das Herz sich nicht etwa vor
Traurigkeit verhärte, ja mehr noch, durch Verzweiflung zugrunde gehe.“95
Selbst für Kain hätte, Bernhard zufolge, Hoffnung bestanden, wenn er nicht an
Gottes Gnade gezweifelt hätte. Diese Gnade sei stets größer als die Schuld des
Menschen.
Reue über das Begangene musste dabei mit dem Vorsatz einhergehen, das, was
man getan hatte, künftighin zu meiden; Ziel war eine innere conversio, die jedoch
nicht in einer Metanoia Ausdruck fand, sondern bei der das Geschehene dem
Menschen im Bewusstsein bleiben musste. „Buße tun“, so formulierte Papst
Gregor der Grosse in seinen Evangelienh omilien und setzte damit den Maß-
stab auch für die folgenden Jahrhunderte, „heißt ja, das begangene Böse zu be-
klagen und das Beklagenswerte nicht zu begehen.“ Und er fuhr fort:
„Denn wer das eine in der Weise beweint, daß er trotzdem anderes begeht, der ver-
nachlässigt noch das Bußetun oder kennt es nicht. Was nützt es nämlich, wenn
jemand die Sünden der Unzucht beweint und dennoch weiterhin in den Gluten der
Habgier lechzt? Oder was nützt es, wenn er schon die Verfehlungen des Zorns be-
trauert und dennoch weiterhin vor brennendem Neid vergeht?“96
Bernhard von Clairvaux, der diesen Gedanken im unmittelbaren Bezug auf-
griff, formulierte in seinem Bischofsspiegel für Heinrich (f 1145), den Erzbischof
von Sens, dass eben die von Gregor geforderten Strategien in besonderer Weise
geeignet seien, um ein gutes Gewissen zu erlangen.97 Und nirgendwo könne man
hier S. 1525. Zur Verbindung von Gewissen und Fegefeuer noch bei Johannes Tauler (f 1361)
oder Marquard von Lindau (f 1392) vgl. U. Störmer Caysa, Gewissen und Buch, S. 280f.
95 „Et quidem necessarius dolor pro peccatis, sed si non sit continuus. Sane interpoletur laetiori
recordatione divinae benignitatis, ne forte prae tristitia induretur cor, et desperatione plus pe-
reat.“ Bernhard von Clairvaux, Sermo super Cantica canticorum XI, cap. I (2), in: Sämtliche
Werke, Bd. 5, S. 158.
96 „Paenitentiam quippe agere est et perpetrata mala plangere, et plangenda non perpetrare. Nam
qui sic alia deplorat, ut tarnen alia committat, adhuc paenitentiam agere aut ignorat, aut dissi-
mulat. Quid enim prodest si peccata quis luxuriae defleat, et tarnen adhuc avaritiae aestibus
anhelet? Aut quid prodest si irae culpas iam lugeat et tarnen adhuc invidiae facibus tabescat?“
Gregor der Grosse, Homiliae in Evangelia, 34.15, S. 314f. Übersetzung: Evangelienhomili-
en, Bd. 2, S. 674.
97 „Itaque duo sunt praecipue quae bonam reddunt conscientiam, paenitere de malis et abstinere a
malis, hoc est, ut verbis loquar beati Gregorii, et commissa fiere, et flenda non committere.“
Bernhard von Clairvaux, ep. 42, IV (13), in: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 460. Zur Person des
Bischofs vgl. Ch. L. Richard / J. J. Giraud, Bibliotheque sacree, Bd. 29, S. 198. Dieser Gedanke
findet sich auch bei Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, III.34, Bd. 3, S. 624.
2. Gegenstand: Das Gewissen
„doch soll er nicht unaufhörlich quälen. Ja, er soll durch die freudigere Erinnerung
an die göttliche Güte unterbrochen werden, damit das Herz sich nicht etwa vor
Traurigkeit verhärte, ja mehr noch, durch Verzweiflung zugrunde gehe.“95
Selbst für Kain hätte, Bernhard zufolge, Hoffnung bestanden, wenn er nicht an
Gottes Gnade gezweifelt hätte. Diese Gnade sei stets größer als die Schuld des
Menschen.
Reue über das Begangene musste dabei mit dem Vorsatz einhergehen, das, was
man getan hatte, künftighin zu meiden; Ziel war eine innere conversio, die jedoch
nicht in einer Metanoia Ausdruck fand, sondern bei der das Geschehene dem
Menschen im Bewusstsein bleiben musste. „Buße tun“, so formulierte Papst
Gregor der Grosse in seinen Evangelienh omilien und setzte damit den Maß-
stab auch für die folgenden Jahrhunderte, „heißt ja, das begangene Böse zu be-
klagen und das Beklagenswerte nicht zu begehen.“ Und er fuhr fort:
„Denn wer das eine in der Weise beweint, daß er trotzdem anderes begeht, der ver-
nachlässigt noch das Bußetun oder kennt es nicht. Was nützt es nämlich, wenn
jemand die Sünden der Unzucht beweint und dennoch weiterhin in den Gluten der
Habgier lechzt? Oder was nützt es, wenn er schon die Verfehlungen des Zorns be-
trauert und dennoch weiterhin vor brennendem Neid vergeht?“96
Bernhard von Clairvaux, der diesen Gedanken im unmittelbaren Bezug auf-
griff, formulierte in seinem Bischofsspiegel für Heinrich (f 1145), den Erzbischof
von Sens, dass eben die von Gregor geforderten Strategien in besonderer Weise
geeignet seien, um ein gutes Gewissen zu erlangen.97 Und nirgendwo könne man
hier S. 1525. Zur Verbindung von Gewissen und Fegefeuer noch bei Johannes Tauler (f 1361)
oder Marquard von Lindau (f 1392) vgl. U. Störmer Caysa, Gewissen und Buch, S. 280f.
95 „Et quidem necessarius dolor pro peccatis, sed si non sit continuus. Sane interpoletur laetiori
recordatione divinae benignitatis, ne forte prae tristitia induretur cor, et desperatione plus pe-
reat.“ Bernhard von Clairvaux, Sermo super Cantica canticorum XI, cap. I (2), in: Sämtliche
Werke, Bd. 5, S. 158.
96 „Paenitentiam quippe agere est et perpetrata mala plangere, et plangenda non perpetrare. Nam
qui sic alia deplorat, ut tarnen alia committat, adhuc paenitentiam agere aut ignorat, aut dissi-
mulat. Quid enim prodest si peccata quis luxuriae defleat, et tarnen adhuc avaritiae aestibus
anhelet? Aut quid prodest si irae culpas iam lugeat et tarnen adhuc invidiae facibus tabescat?“
Gregor der Grosse, Homiliae in Evangelia, 34.15, S. 314f. Übersetzung: Evangelienhomili-
en, Bd. 2, S. 674.
97 „Itaque duo sunt praecipue quae bonam reddunt conscientiam, paenitere de malis et abstinere a
malis, hoc est, ut verbis loquar beati Gregorii, et commissa fiere, et flenda non committere.“
Bernhard von Clairvaux, ep. 42, IV (13), in: Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 460. Zur Person des
Bischofs vgl. Ch. L. Richard / J. J. Giraud, Bibliotheque sacree, Bd. 29, S. 198. Dieser Gedanke
findet sich auch bei Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, III.34, Bd. 3, S. 624.