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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0048
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2.3 Systematisierungen: Ordnungen der Gewissensarten

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weise im Consolatorium timorate consciencie des Dominikaners Johannes Nider
(f 1438) finden lassen,119 hatten notwendigerweise den Verlust der geschlossenen
Struktur zur Folge.
Eine vergleichbare binäre Struktur von Gewissensarten findet sich auch in der
Abhandlung De conscientia des Benediktiners Petrus Cellensis (f 1183), die
wohl zeitnah zum Traktat De quattuor modis conscientiarum entstand.120 Petrus,
der nach Stationen als Abt verschiedener Klöster seiner Gemeinschaft schließlich
zum Bischof von Chartres erhoben wurde,121 differenzierte in diesem Text Ge-
wissensarten hinsichtlich bestimmter Qualitäten. So unterschied er zunächst ein
Gewissen der Weltleute und eines der Mönche.122 Neben diesen beiden identifi-
zierte Petrus auch ein höllisches und ein himmlisches Gewissen, vergaß jedoch
nicht zu erwähnen, dass es noch weitere Formen gebe.123
Zunächst scheint es, als habe diese qualifizierende Differenzierung wenig mit
der eben skizzierten des Traktats Von den vier Arten der Gewissen gemeinsam.
Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass die von Petrus identifizierten
Typen ebenfalls einem binären Ordnungsmuster entsprechen, werden doch
Diesseits und Jenseits ebenso wie deren je typische Protagonisten als symboli-
sche Repräsentationsfiguren für Gewissensarten herangezogen: Dem Gewissen
des Himmels steht das der Hölle gegenüber; das Gewissen des Religiösen kont-
rastiert mit dem des Menschen in der Welt. In beiden Fällen handelt es sich um
strukturelle Gegensatzpaare. Wenn Petrus also erwähnt, dass es neben den von
ihm näher vorgestellten zwei Gewissenspaaren weitere gebe, so kann es sich -
denkt man seine Differenzierung weiter - nur wiederum um entsprechende Bina-
rismen handelt. Anders als das in sich geschlossene Schema des Traktats Von den
vier Arten der Gewissen wäre das des Petrus prinzipiell erweiterbar - aber eben
nur um solche Gewissensarten, die selbst wieder komplementär sind.
119 Vgl. hierzu unten im Kapitel 6.2 a).
120 Jean Leclercq edierte den Text nach der Handschrift Troyes, BM, 253, 13v-24v. Weiterhin
enthalten den Text auch folgende Handschriften: Berlin, SBPK, MS theol. lat. fol. 664, 70vb-
77va (vgl. Katalog Berlin 1.2.2, S. 173); Cambridge, Sidney Sussex College, MS A.4.22, 65r-70r
(vgl. Katalog Cambridge, Sidney Sussex, n° 84, S. 67f.) sowie Cambridge, Trinity College,
MS 0.4.42, fol. 103v—106v (vgl. Katalog, Cambridge, Trinity, Bd. 3, S. 290); Paris, BnF, MS lat
2597 (Katalog Paris, BnF, latin 2, S. 539). Zu diesem Text vgl. neben den Beobachtungen seines
Herausgebers Jean Leclercq v. a. E. Bertola, II problema della coscienza, S. 78-102;
Ph. Delhaye, Leprobleme, S. 105-10; M. Carruthers, The Craft of Thought, S. 205-9 sowie
M. Breitenstein, Die Verfügbarkeit der Transzendenz.
121 Zu Petrus’ Biographie vgl. Petrus Cellensis, Epistolae, S. xxviii-xxxiii.
122 „Conscientiarum autem qualitates sic dividimus. Conscientia alia est claustralium, alia saecula-
rium.“ Petrus Cellensis, De conscientia, S. 220.
123 „Item alia male merentium quae appellatur infernalis, alia bene merentium quae nominatur
caelestis. Sunt et quaedam aliae Ebd.
 
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