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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0052
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2.3 Systematisierungen: Ordnungen der Gewissensarten

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Geschehen nachfolgt oder es Kommendes zu leiten sucht, ist, wie Kittsteiner
mit guten Gründen ausführte, immer auch die nach der Wertigkeit von Gnade
oder Tugend für eine Gesellschaft: „Dabei korrespondiert dem Begriff der Gnade
ein Überwiegen des nachfolgenden Gewissens, der Begriff der Tugend setzt da-
gegen eine mehr vorgängige Triebkontrolle voraus.“138 Als entsprechende Schar-
nierzeit jenes Wandels vom Gewissen als Prüfinstanz hin zum Gewissen als Weg-
weiser benannte er das 18. und 19. Jahrhundert - die Epoche von Spätaufklärung
und Restauration. Auch vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit herangezo-
genen Texte, läßt sich diese Grenze durchaus ins 17. Jahrhundert vorverlegen.
Der spanischeJesuit Francisco Suärez (f 1617) schließlich ergänzte diese bei-
den Ausrichtungen der conscientia sogar noch um eine dritte, nämlich gegen-
wartsbezogene Dimension.139 Sie begegnete später bei Kant als conscientia
concomitans, wurde von diesem jedoch hinsichtlich ihrer Vehemenz als die
schwächste der drei zeitlich orientierten Gewissensakte beurteilt.140
Sicherheit, Skrupel, Zweifel
Ein weiteres Kriterium zur Bestimmung verschiedener Gewissensarten lag in der
Sicherheit oder Unsicherheit von dessen Urteilen.141 142 Anders als im Fall der eben
angesprochenen Unterscheidung gegensätzlicher zeitlicher Orientierungen der
conscientia sind Differenzierungen verschiedener Grade von certitudo bei Gewis-
sensentscheidungen bereits für das 13. Jahrhundert üblich. Ein hierfür typischer
Text ist das unter den Werken des Jean Gerson (J 1429) gedruckte Compendium
theologiae, eine möglicherweise von Gerson selbst angefertigten Kompilation
aus der Summa iuniorum des englischen Dominikaners Simon of Hinton (J nach
1262), dem Compendium theologiae veritatis von dessen Ordensbruder Hugo
Ripelin von Strassburg (f ca. 1270) und einer anonym überlieferten Summa de
vitiis.^2 Eine im letzten Teil des Kompendiums abgedruckte Passage präsentiert
Kriterien zur Bestimmung der Sicherheit des Gewissensurteils und bietet eine in-
teressante Einteilung verschiedener Formen der conscientia.

138 H. D. Kittsteiner, Von der Gnade zur Tugend, S. 137.
139 Vgl. B. Hennig, Conscientia, S. 154.
140 I. Kant, Vorlesungen zur Moralphilosophie, Ethica, p. I, c. II (245f.), S. 196f. Vgl. Th. S. Hoff-
mann, Gewissen als praktische Apperzeption, S. 432f.
141 Vgl. hierzu mit Schwerpunkt im 17. Jh.: B. Hennig, Conscientia, S. 155-61.
142 Dieser Text wurde unter den Werken Jean Gersons als Compendium theologiae ediert: J. Ger-
son, Opera omnia, ed. L. E. Dupin, Bd. 1, Sp. 233-442. Vgl. die Ausführungen von Glorieux,
in: J. Gerson, (Euvres completes, Bd. 1, S. 41. Zur Überlieferung von Hugos Compendium vgl.
G. Steer, Hugo Ripelin von Straßburg-, zu Simons Summa vgl. I. Bejczy / R. Newhauser, The
Newly Discovered Abbrevi.ati.ons.
 
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