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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0058
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2.3 Systematisierungen: Ordnungen der Gewissensarten

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ebenso wie ein „weibisches“175 oder ein „betrübtes Gewissen“176. Luther stellte
das „blöde“ dem „fröhlichen“ Gewissen gegenüber.177 Eine umfangreiche Über-
sicht „einiger Kunst-Wörter, die von dem Gewissen gebraucht werden“, präsen-
tierte 1720 Christian Wolff (f 1754) in seinen Vernünftigen Gedancken von der
Menschen Thun und Lassen, zur Beförderung ihrer Glückseeligkeit, wo er im-
merhin 15 verschiedene Arten benannte178 und breit diskutierte. „Vielleicht“, so
bezog er gegen mögliche Kritik Stellung,
„werden sich einige befremden lassen, daß ich so vielen Unterscheid bey dem Ge-
wissen suche, und anderen werden so viele Nahmen, dadurch dieser Unterscheid
angedeutet wird, verdrüßlich fallen. [...] Denn man muß jeden Unterscheid mit ei-
nem besonderen Nahmen bemercken, damit man nicht durch die Unbeständigkeit
im Reden zwey verschiedene Dinge als eines ansiehet, und dadurch in Irrthum ver-
fällt [,..]“179
Wolffs Anspruch, auch innerseelische Phänomene in ihrer Differenziertheit an-
gemessen zu erfassen und qualifizierend zu benennen, wurde von anderen sogar
noch weiter verfolgt und in der Komplexität gesteigert.180 Nachhaltige Wirkung
hatten diese Einteilungsversuche jedoch allem Anschein nach nicht.
nicht achten, in ihrem Betten und Betrachten niemahln einigen Nutz und Frücht schaffen kön-
nen.“ Dieses außerordentlich populäre Werk erschien in zahlreichen Drucken und Übersetzun-
gen. Vgl. Ginzburg, „Baisamo, Ignazio“. Ebenso bei Sigismund Freyberger, Germania per-
turbata, S. 126.
175 „Mein weibisches Gewissen bringt mich aus aller Fassung.“ [A. von Kiesheim], Marie von
Kollenau, S. 99.
176 So beim lutherischen Prediger Gregor Strigenitz, in dessen 1593 erstmals erschienenem
Predigtzyklus Bericht vom Gewissen des Menschern „Also kan ein Mensch, der ein betrübtes
Gewissen hat, keine ruhe finden, und wenn er gleich die gantze Welt creutzweise durchzöge.“
G. Strigenitz, Conscientia, XXIII.4, 183r. Zahlreiche weitere Beispiele wären anzuführen.
Zu diesem Werk vgl. unten S. 274, Anm. 193.
177 „Das gesetz macht eyn blöde gewissen, Christus ein fröhlichs seligs gewissen [...].“ M. Lu-
ther, Predigten des Jahres 1522, n° 34 (24. Juni), in: WA 10, III, S. 207.
178 Er listet hier: antreibendes (practica), freyes (libera), gehindertes (serva), gewisses (certa), irriges
(erronea), lehrendes (theoretica), nachgebendes (theoretice practica), nachfolgendes (conse-
quens), richtiges (recta), überwiegendes (practice practica), unwichtiges (incompleta), vorge-
hendes (antecedens), wahrscheinliches (probabilis), wichtiges (completa), zweiffelhafftes (du-
bia) Gewissen. Chr. Wolff, Vernünftigen Gedancken von der Menschen Thun und Lassen,
[S. 711],
179 Ebd., § 82, S. 51.
180 So benannte der Olmützer Religionslehrer Franciscus Pollaschek (f 1818) in seiner Moralis
Christiana bereits 20 verschiedene Arten der conscientia'. antecedens, concomitans, subsequens,
recta, erronea, certa, probabilis, probabilior, minus probabilis, probabilissima, dubia, scrupulo-
sa, anxia, laxa, arcta, tenera, dormiens, evigilans, bona und mala. Fr. Pollaschek, Moralis chris-
tiana, pars 1, cap. X, § 165, S. 148-50.
 
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