Metadaten

Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0063
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
62

3. Textzeugen: Das Motiv der vier Gewissensarten

Dieser Text beginnt und schließt unter dem Vorzeichen jener augustinischen
Sichtweise, der zufolge ein gutes Gewissen mit Ruhe und Frieden, ein schlechtes
hingegen mit Unruhe und Unfrieden einhergeht:8 „Die Seele leidet oder ruht im
Gewissen“ - je nach dessen Verfasstheit. Dieser bis zur Sprichwörtlichkeit geron-
nene Zusammenhang von gutem Gewissen und Heilsgewissheit stellt eines der
Grundmotive innerhalb der Gewissensdiskurse nicht nur des Mittelalters dar; für
das hier im Fokus stehende Konzept der vier Gewissensarten ist er essentiell.9
Die Metapher von der conscientia als der Ruhestätte der Seele hatte neben sei-
ner Verwendung in Bernhards Predigt auch noch weitere Verbreitung gefun-
den; hier ist vor allem auf den Psalmenkommentar des Thomas von Aquin
hinzuweisen, wo das Motiv ebenfalls begegnet.10 Der Dominikaner Giovanni
Caroli (f 1503)11 oder auch Martin Luther12 sind nur zwei zwei weitere Exe-
geten, die das Bild in ihren Schriften heranzogen.
Der Entwurf des Schemas der vier Gewissensarten in der benhardischen Pre-
digt ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Dies betrifft insbesondere die
Charakterisierung derjenigen, die ein zwar ruhiges, aber nicht gutes Gewissen
besitzen. Sie werden hier als diejenigen beschrieben, die aufgrund ihrer Unerfah-
ren- oder Unbedachtheit und daher aus falsch empfundener Sicherheit sündigen
würden, nicht aber aufgrund unermesslicher Bosheit; ihr Gewissen ist nur
deshalb ruhig, weil sie glauben, keine Verpflichtung gegenüber Gott zu haben. Es
ist gleichsam jugendlicher Übermut, der die fehlende Gutheit des Gewissens
begründet. Damit aber steht dieser Text singulär im Kreis derjenigen, die hier als
la, eorum qui carnem spiritui subdiderunt, qui, cum his qui oderunt pacem, sunt pacifici. Hic
est lectus animae: in hoc requiem capit anima, sed nondum perfectam. Oportet autem, ut per-
fectam possit praestare requiem, non solum bona et tranquilla sit conscientia, sed etiam secura;
unde subiungit: Quia eripuit animam meam de morte, oculos meos a lacrimis, pedes meos a
lapsu. De morte, dando bonam conscientiam; a lacrimis, dando tranquillam et bonam; a lapsu,
dando securam.“ Bernhard von Clairvaux, Sermones de diversis, Sermo CXIF. De quadru-
plici conscientia, in: Sämtliche Werke, Bd. 9, S. 800 [Übersetzung nach ebd., S. 801].
8 Vgl. die Hinweise auf die entsprechenden Quellen unten S. 166, Anm. 267f. Zur Predigt selbst
vgl. auch Ph. Delhaye, Le probleme, S. 28-30. Allgemein zum Begriff des schlechten Gewis-
sens bei Bernhard, ebd., S. 23-7; zum guten Gewissen: S. 27-31.
9 Vgl. neben den im Folgenden noch vorzustellenden Beispielen, für die dieser Zusammenhang
ganz wesentlich ist, auch Passagen aus dem Geistlicher Herzen Baungart und eine Predigt des
Franziskaners Berthold von Regensburg (f 1272) bei U. Störmer Caysa, Gewissen und
Buch, S. 106-14. Zum Motiv der Ruhe der Seele im Bett vgl. K. Lerchner, Lectulus floridus,
v. a. S. 52-6.
10 „[...] lectus in quo homo quiescit, est conscientia, hanc lavat homo per lacrymas in poeniten-
tia.“ Thomas von Aquin, In psalmos Davidis expositio, Super Psalmo VI, n° 4, ed. R. Busa,
Bd. 6, S. 54 c.
11 A. Edelheit, Scholastic Florence, S. 91, Anm. 25. Zu Caroli vgl. ebd., S. 83.
12 „,Lectus doloris‘ primo est conscientia pre peccatis suis dolens, quia in sola conscientia quiescit
anima vel inquietatur, per gratiam vel culpam.“ M. Luther, Dictata super Psalterium, psalmus
XL (XLI), in: WA 3, S. 231. Vgl. hierzu M. G. Baylor, Action and Person, S. 172.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften