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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0064
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3.1 Bernhard von Clairvaux: De quadruplici conscientia

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primäre Quellen des Motivs der vier Gewissensarten vorgestellt werden können,
insofern alle anderen, im schlechten und ruhigen Gewissen die letzte Stufe höchs-
ter Verderbnis erkennen, nicht aber den noch fehlgeleiteten Beginn eines Lebens,
das zweifellos noch zur Besserung befähigt ist. Eine solche Sichtweise impliziert,
dass die Unruhe des Gewissens erst zu wecken ist. Aus der (in dieser Deutung
objektiven) Schlechtigkeit des Gewissens erwächst somit nicht automatisch ein
Bewusstsein für Schuld oder Unschuld. Die Schlechtigkeit des Menschen ist in
dieser Perspektive zunächst nur Ausdruck einer Orientierung am objektiv fal-
schen Wertmaßstab. Das wahrhaft schlechte Gewissen kann vor diesem Hinter-
grund nur jenes sein, dem dieser Wertmaßstab - das Gesetz Gottes, welches dem
Menschen in seiner conscientia bewusst sein muss - zwar deutlich geworden ist,
das jedoch aus dieser Erkenntnis nicht die angemessenen Schlüsse gezogen hat
oder, noch verwerflicher: zu ziehen bereit ist.
Diese implizite Hierarchisierung der Gewissensarten weist eine signifikante
Parallele zu derjenigen der „quattuor genera hominum“ auf, die unter den Sen-
tenzen Bernhards von Clairvaux zu finden ist. Ausgehend von der Feststel-
lung, dass die Seele Gott stets nur entsprechend der eigenen Prägungen zu er-
kennen vermag, werden hier vier Gruppen von Menschen im Hinblick auf ihre
Erkenntnisfähigkeit Gottes unterschieden.13 So gebe es zwei Arten schlechter
und zwei Arten guter Menschen: Sie alle würden sich Gott so denken, wie sie
sich auch selbst denken: die Guten barmherzig, die Besseren unter den Guten
„nicht veränderlich, sondern einfach in seiner Ewigkeit“.14 Analog zur hiera-
chischen Unterscheidung der Gewissensarten ist jedoch die der beiden Arten
böser Menschen entwickelt: Böse seien nämlich jene Menschen, die meinten,
dass Gott keine Rechenschaft fordern würde; ganz wie in der Predigt „Vom
vierfachen Gewissen“ wird auch hier Bezug auf Ps 9.34 genommen. Solche den-
ken sich, so Bernhard, Gott ebenso nachlässig, „wie sie sich selbst nachlässig
denken“.15 Schlimmer seien jedoch jene, die Zweifel an Gottes Erbarmen
haben, ihn sich grausam denken und daher keine Zuflucht zu ihm suchen
13 „Anima hominis inferiora non sentit, nisi per inferius suum. De Deo autem vel Deum, nisi
seipsam, sentire non potest. [...] ita Deus cum sancto sanctus est, et cum perverso perversus.
Sunt igitur quattuor genera hominum: mali videlicet et peiores, boni et meliores, qui de Domi-
no sentiunt secundum quod sentiunt de se.“ Bernhard von Clairvaux, III Sent 124, in: Sämt-
liche Werke, Bd. 4, S. 728.
14 „Quales isti sunt, talem et Deum sentiunt, quia misericordes aliis, misericordiam sibi a Domino
pollicentur. [...] Rara tarnen avis est in terris quae hunc possit transire profectum. Quaerendus
est igitur [Deus] in simplicitate. [...] sancti viri [...] etiam post graves lapsus facile resurgunt,
quia in simplicitate cordis quaerunt illum; non enim mutabilem sentiunt, sed in sua simplicem
aeternitate.“ Ebd., S. 732.
15 „Mali sunt qui peccant et non timent, qui dicunt in corde suo: ,Non requiret/ [...] Isti pro-
fundae caecitas tenebris ovoluti exsecranda sibi remissione remissi, sicut sentiunt se remissos,
sic et Deum sentiunt esse remissum.“ Ebd., S. 730.
 
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