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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0065
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3. Textzeugen: Das Motiv der vier Gewissensarten

würden.16 Auch hier in der Sentenz werden somit - ebenso wie in der Predigt „Vom
vierfachen Gewissen“ - die an der Barmherzigkeit Gottes Zweifelnden denen ge-
genübergestellt, die sich der Tragweite ihres sündigen Tuns nicht bewußt sind.
Bemerkenswert ist zudem noch ein zweiter Aspekt, der so in keinem der an-
deren hier vorzustellenden Texte zum Tragen kommt: Trotzdem diese Schrift
sogar mit „Vom vierfachen Gewissen“ überschrieben ist, handelt es sich tatsäch-
lich nicht um vier, sondern um fünf Arten des Gewissens, die aufgezählt werden,
erfährt doch selbst die „bona et tranquilla conscientia“ noch eine Steigerung:
nämlich in Form des guten, ruhigen und sicheren Gewissens. Ohne eine von
Gott zu gewährende securitas, die vor dem Fall bewahrt, könne das Gewissen
nicht als vollkommen bezeichnet werden. Diese Ergänzung ist einzigartig, inso-
fern sie das Gewissen als je persönlichen und im Menschen verankerten Maßstab
rückzubinden und dadurch abzusichern sucht - rückzubinden an die objektive
Wertordnung Gottes und damit abzusichern vor der Gefahr eines Gewissens-
irrtums. Eine solche conscientia, die nicht allein gut und ruhig ist, sondern über-
dies sicher, weiß ihr Urteil im Einklang mit jenem Gottes.
Für einen solchen Gedanken, ein gutes Gewissen idealerweise auch für gesi-
chert zu halten, lassen sich durchaus zeitnahe Parallelen finden, so zum Beispiel
innerhalb der unter dem Namen Hugos von St. Viktor überlieferten Sermones
centum17. Im Zentrum der 43. Predigt dieser ebenfalls ins 12. Jahrhundert zu
datierenden Sammlung steht die Allegorisierung der Freuden eines guten Gewis-
sens mit dem Paradies. Man könne sagen, heißt es hier, dass der Mensch von Gott
gestaltet wäre, da er gerechtfertigt und in das Paradies gesetzt sei, wobei er sich in
der sicheren Freude oder in der freudigen Sicherheit eines guten Gewissens be-
finde. Der menschliche Geist voller Sicherheit, der alle Zuversicht aus einem
guten Gewissen ziehe, sei mit einem Paradies voller Freuden zu vergleichen. Ein
solcher sicherer Geist sei, heißt es unter Bezug auf Prv 15.15, wie ein nie enden-
des Fest.18 Auch Wilhelm von St. Thierry hielt dafür, dass der Mensch durch
den Sündenfall aus dem „Paradies des guten Gewissens verjagt“ wurde.19 Hinzu-
16 „Est et aliud genus malorum qui peiores vocantur et e contrario morbo laborant. [...] Crudelem
igitur Deum sentiunt et immisericordem, pietatem eins sua impietate mentientes, non attenden-
tes quia misericordiae eins multae sunt, et quia patiens et multum misericors.“ Ebd., S. 730, 732.
17 Vgl. zu dieser Sammlung R. Goy, Überlieferung Hugo, S. 487, Die ersten 27 Predigten werden
Richard von St. Viktor zugeschrieben, vgl. R. Goy, Überlieferung Richard, S. 359f.
18 „[...] dicimus quod homo a Deo formatur quando justificatur, et in paradisum ponitur, dum in
secura jucunditate, sive jucunda securitate bonae conscientiae collocatur. Quid enim melius
intelligimus per paradisum plenum voluptate quam mentem humanam ex confidentia bonae
conscientiae plenam securitate? Secura enim mens quasi juge convivium.“ Ps.-Hugo von
St. Viktor, Sermones centum, Sermo XLIII, Sp. 1012 B-C.
19 „Propter quod [sc. des Sündenfalles] expulsus de paradiso bonae conscientiae [...].“ Wilhelm
von St. Thierry, Meditatio IV.9, in: Meditationen und Gebete, S. 112.
 
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