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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0160
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4.4 Quellen und Textbezüge

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findet sich parallel nicht nur im Traktat Vom inneren Haus, sondern sinngemäß,
wenn auch mit leicht verändertem Wortlaut, in der Predigt zum Dienstag nach
Palmsonntag (Feria tertia post dominicam olivarunij des Franziskaners Bernar-
dino da Siena (f 1444).243 Die naheliegende Vermutung, dass Bernardino sich
hier auf einen der beiden Gewissenstraktate bezog, trifft jedoch ausdrücklich
nicht zu, insofern er die entsprechende Passage keinem der beiden - weder dem
Von den vier Arten, noch dem Vom inneren Haus - zuwies, sondern sich stattdes-
sen auf Isidor von Sevilla und dessen Abhandlung Vom höchsten Gut berief:
„De tali conscientia Isidorus, De summo bono, ait: Conscientia munda est quae
nec de praeterito iuste accusat, nec de praesenti iniuste delectatur.“244 Zwar ist der
zitierte Passus hier nicht enthalten, wohl aber lässt sich die Aussage in den Isidor
zugeschriebenen Sententiae und ebenso in den Synonyma finden.245
Der gleiche Abschnitt der Synonyma kann überdies auch als eine mögliche
Referenz für die Ausführungen innerhalb jener in der Handschrift aus Charle-
ville (CA) ergänzten Kapitel gelten, die besagen, dass keine Strafe schlimmer sei
als ein schlechtes Gewissen: „Nulla enim pena maior est mala conscientia.“
(S. 222, Z. 19f.) Bezüge dieses Passus bestehen jedoch ebenso zur Pflichten-
lehre des Ambrosius.246 Das ganze Kapitel, in dem sich überdies auch eine Par-
allele zu den Meditationen Hugos von St. Viktor findet, ist jedoch, wie oben
dargestellt247, unzweifelhaft dem Traktat Vom inneren Haus entnommen und
wurde jenem Von den vier Arten der Gewissen erst nachträglich angehängt. Für
dieses nur in der Handschrift aus Charleville als Annex vorhandene Kapitel ist
das Verhältnis der beiden Traktate klar. Für alle anderen Passagen, die in beiden
Werken parallel überliefert sind, stellt sich dieses allerdings keineswegs so einfach
dar. Welchem von beiden Texten die zeitliche Priorität vor dem anderen zu-
kommt, ist nicht zuletzt deshalb ungeklärt, weil für keinen von ihnen bisher Un-
tersuchungen zu Textgestalt und Überlieferung vorliegen. Wohl wurde ihre geis-
tesgeschichtliche Bedeutung betont - doch erfolgte diese Würdigung bisher nur
unter Vernachlässigung textgeschichtlicher Informationen.
Ein abschließende Klärung der Frage, welcher der beiden Texte hier von
welchem beeinflusst wurde, welcher von beiden mithin früher und welcher später
entstanden ist, kann auch hier nicht geleistet werden. In Anbetracht der motivi-
schen Kohärenz wie auch der textlichen Geschlossenheit von De quattuor modis
243 Vgl. unten im Kapitel 6.2 b).
244 Bernardino da Siena, Quadragesimale, Sermo LII, art. II, cap. I, Bd. 4, S. 567.
245 Isidor von Sevilla, Sententiae, Üb. II, cap. 26.2-3, Sp. 627f. Ders., Synonyma, Üb. II, cap. 61,
Sp. 859.
246 Ambrosius, De officiis, Üb. III, cap. IV (24), S. 161; Isidor von Sevilla, Synonyma, Üb. II, cap.
61, Sp. 859.
247 Vgl. oben im Kapitel 4.2 b).
 
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