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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0171
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170

4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum

Fall der geschlossen-binären Systematik der vier Gewissensarten werden die ver-
schiedenen Arten der Gedanken jedoch in offener Aneinanderreihung präsen-
tiert, wobei die Siebenzahl, die hier im Text begegnet, sich im 12. Jahrhundert
generell einer großen Beliebtheit erfreute.286 In ihre Abfolge selbst scheint die
Aufzählung der Gedankenarten keiner inhärenten Logik zu folgen, sondern aus-
tauschbar zu sein. Gleiches gilt auch für jene vier inneren Stimmen, die im Men-
schen sprechen und die seine Gedanken beeinflussen: neben drei abgestuft nega-
tiven erkennt der Briefschreiber als einzig positive Stimme diejenige Gottes.
Allerdings lässt sich die Aufeinanderfolge der drei Abschnitte über die Arten
des Gewissens, über die der Gedanken und schließlich die der inneren Stimmen
in ihrer Reihung gleichsam als Schema deuten, mit dem das Funktionsprinzip des
menschlichen Intellektes wiedergegeben ist: Eine externe Instanz - eben einer
der aufgezählten Spiritus - fungiert als Stimulation, die Denkinhalte initiiert, wel-
che dann ihrerseits entsprechend der beschriebenen Muster qualitativ erfasst
werden können. Diese Gedanken wiederum bewegen die Gewissen der Men-
schen und sind demzufolge für deren Ausprägungen von gut oder schlecht, ruhig
oder unruhig mitursächlich.
Während die vier Gewissensarten also vor dem Hintergrund einer göttlich in-
spirierten und gesetzten Ordnung in erster Linie die Einstellung des Menschen
gegenüber seinem eigenen Handeln zum Ausdruck bringen, repräsentieren die
Gedankenarten jene für eben die Handlung des Menschen ausschlaggebenden
Beweggründe. Die Arten des Geistes wiederum verweisen auf den Transzen-
denzbezug, den sich der Mensch - so legt der Text dies nahe - selbst wählt. Wer
nicht einzig und konzentriert der Stimme Gottes folgt, dessen Gedanken werden
ihn auch nicht zu solchen Handlungen bewegen, deren moralisch-reflektierende
Bewertung dann im Ergebnis eine bona conscientia zur Folge hat.
Das Bild verschiedener Arten von Gedanken findet sich außer im Traktat Von
den vier Arten der Gewissen an drei Stellen in Bernhard von Clairvaux zuge-
schriebenen Schriften, wobei hier eine verblüffende Parallele zum Vorkommen
der Gewissensarten ins Auge fällt, handelt es sich doch auch hier wieder um die
Predigtsammlung De diversis sowie die unter Bernhards Namen firmierenden
Sentenzen. Zwar finden hier jeweils nur drei Arten von Gedanken Erwähnung,
doch sind diese drei zugleich auch Teil des Septetts aus dem Gewissenstraktat: die
bedrückenden, die triebhaften und die müßigen Gedanken. Diese drei seien es,
heißt es zum Beispiel innerhalb der Sentenzen nur knapp, die das Gedächtnis des

286 Vgl. J. Le Goff, Die Geburt des Fegefeuers, S. 273. Zur herausragenden Bedeutung der
Zahl „7“ vgl. H. Meyer / R. Suntrup, Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen,
Sp.479-565.
 
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