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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0173
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172

4. Der Traktat De quattuor modis conscientiarum

Gedanken selbst. Sind nun die Gedanken unrein und befleckt, kann notwendi-
gerweise auch das Gewissen nicht gut sein. Auf die Gefahr, die von vergifteten
Gedanken ausgeht, wurde eben bereits hingewiesen.291
Sich all seiner Gedanken bewusst zu sein, war nicht zuletzt deshalb wichtig,
weil diese Gedanken immer auch Gegenstand der Beichte waren.292 Sie waren es
zum einen, weil insbesondere die Umstände einer Tat, die dieser zugrundeliegen-
den Absichten, für deren moralische Bewertung Berücksichtigung fanden.293 Sie
waren es zum anderen, weil auch die Gedanken als solche nun untersucht und
hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Orientierung beurteilt wurden.294
Bei den innerhalb von De quattuor modis conscientiarum im Einzelnen be-
schriebenen Gedanken handelt es sich sämtlich um solche, vor denen man sich
hüten müsse; es sind Gedanken, deren Referenz eben nicht der Geist Gottes ist,
sondern jene inneren Stimmen, die den Menschen auf Weltliches, Fleischliches
oder sogar Teuflisches hin zu lenken suchen. Heilsnotwendige Gedanken - sol-
che also, die den Menschen zu gutem Handeln anleiten und damit zu einem gu-
ten Gewissen überhaupt erst befähigen - sind einzig in der oben vorgestellten
Textfassung aus der Kartause von Mont-Dieu enthalten, die heute in Charleville-
Mezieres aufbewahrt wird.295 Auffällig an der hier gegebenen Aufzählung sol-
cher ,guter und heiliger Gedanken* ist deren strikt eschatologischer Bezug. Es
werden konkrete Gegenstände benannt, auf die sich das Denken des Menschen
zu richten habe: neben Gott, der über allem steht, sind dies vor allem die Passion
Christi, der eigene Tod, das Jüngste Gericht, die Hölle und das Paradies.296 Damit
entwirft der Verfasser dieses Einschubs ein Meditationsschema, das eher für das
14. Jahrhundert typisch ist - die Zeit der Entstehung der Handschrift aus Mont-
Dieu - als für das 12.297 Mit der Mahnung, alle Gedanken auf die Passion Christi

291 Vgl. oben S. 169, Anm. 284.
292 Vgl. P. Dinzelbacher, Das erzwungene Individuum, S. 441f.
293 Vgl. hierzu im diachronen Überblick der Quellen bis ins 13. Jahrhundert J. Gründel, Die
Lehre von den Umständen.
294 So in einer Art Musterbeichte, die in den Traktat Vom inneren Haus aufgenommen wurde:
„Nullum enim invenio vitium, a quo non traxerim aliquod contagium. Turbavit me ira, laceravit
me invidia, inflavit superbia. Inde contraxi mentis inconstantiam, oris scurrilitatem, opprobria
proximorum, scelera detractionum, linguae effrenationem. Seniorum meorum imperia non ser-
vavi, sed judicavi: de meis negligentiis objurgatus, aut rebellis fui, aut murmuravi; praeferri me
melioribus impudenter affectavi De interiori domo, cap. XX (37), Sp. 527 B. Zu weiteren
derartigen Insertionen innerhalb dieses Textes vgl. in meiner Studie Die Verfügbarkeit der
Transzendenz, S. 51, Anm. 68.
295 Vgl. oben im Kapitel 4. 2 a).
296 Vgl. De quattuor modis conscientiarum, cap. III.9, unten S. 210, Z. 12.
297 Derartige Passionsmeditationen sind typisch für das späte, nicht aber für das hohe Mittelalter,
vgl. R. Kieckhefer, Hauptströmungen, S. 100-5.
 
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