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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0234
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

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menheit des menschlichen, selbst des mönchischen Lebens stets dann stellen
mussten, wenn der Einzelne sich am Vorbild eines Mensch gewordenen Gottes
maß.31 Wer bei ,Bernhard‘ Rat suchte, fand diesen in einer Fülle von Texten;
neben authentischen Werken kursierte unter seinem Namen eine kaum zu über-
blickende Menge von Schriften, die ihm zugeschrieben worden waren, wobei die
Zahl der apokryphen die der ,echten* bei weitem übertraf.32 Sie alle versprachen
Hilfe bei der lebenspraktischen Bewältigung jener Widrigkeiten, die den Men-
schen in seinem Zustand des Mangels betrafen.
Bernhards Autorität in psychologischen Fragen war dabei von außerge-
wöhnlicher Konstanz: Weder die Reformation noch die sich anschließenden
Prozesse der Konfessionalisierung erwuchsen zu Faktoren, die zu einer Ableh-
nung oder auch nur Distanzierung geführt haben. Insbesondere schien es uner-
heblich zu sein, welchem christlichen Bekenntnis oder welcher theologischen
Strömung ein Autor anhing - Bernhard von Clairvaux erwies sich als allseits
respektierter Fixpunkt nicht nur in Fragen der Religiosität, sondern auch in sol-
chen von Psychologie und Moral. Seine authentischen wurden ebenso wie die
ihm zugeschriebenen Schriften zu Referenztexten, insbesondere wenn vom
menschlichen Gewissen gehandelt werden sollte. So verwies, um nur einen be-
sonders wirkmächtigen Text anzuführen, Johannes Calvin zum Gegenstand
des Gewissens in seiner Christianae religicmis institutio direkt auf Bernhard
und dessen Bezug auf II Cor 1.12.33 Für ihn - wie auch für Martin Luther -
zählte der Abt von Clairvaux zu den zu respektierenden Autoritäten der vor-
reformatorischen Zeit.34
Solche Bezüge auf einen Autor oder gar einen konkreten Text sind dabei nicht
nur Indikatoren für dessen Popularität; ihnen kam unter den Bedingungen der
31 Vgl. hierzu H. Fichtenau, Askese und Laster, S. 40.
32 Vgl. oben S. 83, Anm. 29. Zum überragenden Einfluss Bernhards im Spätmittelalter vgl. G.
Constable, Tw elfth-Century Spirituality, S. 31.
33 Unter Rekurs auf Sermo I in Annuntiatione'. „Quanto rectius Bernardus: Testimonium, inquit,
conscientia:, quod piorum gloriam vocat Paulus [n Cor 1.12], in tribus consistere credo. Neces-
se enim primo omnium est, credere quod remissionem peccatorum habere non possis nisi per
indulgentiam Dei: deinde quod nihil prorsus habere queas operis boni nisi et hoc dederit ipse:
postremo quod vitam aiternam nullis potes operibus promereri nisi gratis detur et illa.“ J. Cal-
vin, Institutio Christian# religionis, lib.3, cap. 2, par. 41, S. 208. Zum Einfluss Bernhards auf
Calvin vgl. v. a. die Forschungen Anthony Lanes. Zum Gewissensverständnis Calvins vgl. E.
G. Andrew, Conscience and its Critics, S. 24f. sowie Chr. Strohm, Ethik, S. 485-9. Zur Bedeu-
tung von II Cor 1.12 vgl. oben S. 163, Anm. 252.
34 Zum Einfluss Bernhards von Clairvaux auf Luther vgl. Th. Bell, ,Divus Bernardus‘. Für
den Einfluss des monastischen Denkens auf Luther und die Reformation vgl. v. a. B. Lohse,
Mönchtum und Reformation-, Chr. Bultmann / V. Leppin / A. Lindner (Hgg.), Luther und
das monastische Erbe-, A. Lexutt / V. Mantey / V. Ortmann (Hgg.), Reformation und Mönch-
tum sowie V. Leppin, Die fremde Reformation. Zusammenfassend: U. Köpf, Mönchtum.
 
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