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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0253
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252

6. Rezeptionen und Wirkungen

in archa (Ps 131.8). O quam inef-
fabilis est pietas Dei, que tantam
maiestatem inclinat ad tantam hu-
militatem. Qui creavit nos, creatur
in nobis. Et quasi parum sit nos
Deum patrem habere, vult etiam
nos sibi matrem fieri. Unde dici-
tur: Quicumque fecerit volunta-
tem Patris mei, ille meus frater,
soror et mater est. (Mt 12.50) Fra-
ter obediendo, mater generando.
Frater per hereditatis participatio-
nem, mater per illorum instructio-
nem. O fidelis anima, expande si-
num, dilata affectus, ne angustieris
in visceribus tuis concipere eum,
quem totus mundus comprehen-
dere nequit, donec beata virgo il-
lum fide concepit. Fide namque
concipitur, verbi divini predica-
tione nascitur, devotione nutritur,
amore tenetur. Sit ergo conscientia
pura, ut Deum conducat ad hospi-
tium suum. Sit sollicita circa fidele
obsequium, ne tanta maiestas cor-
dis sui recuset gremium. Sit de-
vota, ut soli Deo placeat, soli Deo
intendat nec ab eo recedat. Talis
conscientia letificat animam, exhi-
bet se Deo gratam, angelis et ho-
minibus reverenciam, sibi placi-
tam et quietam.90

unaussprechlich ist die Güte Gottes, die
solch hohe Majestät niederbeugt zu solcher
Demut. Der uns geschaffen hat, wird in uns
geschaffen. Und gleichsam, als ob es wenig
sei, Gott zum Vater zu haben, will er uns
auch noch zu seiner Mutter machen. Weswe-
gen gesagt wird: Wer auch immer den Willen
meines Vaters erfüllen wird, der ist mir Bru-
der, Schwester und Mutter. (Mt 12.50) Bru-
der im Gehorchen, Mutter im Erzeugen.
Bruder in der Teilhabe am Erbe, Mutter in
der Unterweisung jener. Oh, gläubige Seele,
öffne deinen Schoß, weite dein Empfinden,
fürchte dich nicht, in deinem Innersten den
zu empfangen, den die ganze Welt nicht be-
greifen konnte, bis ihn die selige Jungfrau im
Glauben empfing. Durch den Glauben näm-
lich wird er empfangen, in der Verkündung
des Gotteswortes wird er geboren, in der De-
mut wird er aufgezogen, in der Liebe wird er
erhalten. Folglich sei das Gewissen rein, so
dass es Gott zu seiner Herberge führe. Es sei
sorgfältig bei seinen gläubigen Verpflichtun-
gen, damit eine solche Majestät nicht das ihr
zugedachte Innerste des Herzens ablehnt. Es
sei fromm, damit es allein Gott gefällt, allein
auf Gott achtgibt und nicht von ihm zurück-
weicht. Ein solches Gewissen erfreut die
Seele, zeigt sich Gott gegenüber dankbar, er-
weist den Engeln wie den Menschen seine
Ehrfurcht und ist sich selbst gegenüber ange-
nehm und ruhig.

Vulpina conscientia est conversa-
tio tepida, cogitatio dolosa, suspi-
ria ficta, confessio brevis et rara
compunctio, obedientia sine de-
votione, oratio sine intentione,
lectio sine edificatione, sermo sine
circumspectione.91

Das listige Gewissens ist ein lauer Lebens-
wandel, ist hinterhältige Absicht, sind fal-
sche Seufzer, eine kurze Beichte und eine
seltene Reue, ist Gehorsam ohne Aufopfe-
rung, ist ein Gebet ohne Aufmerksamkeit,
ist eine Lesung ohne Erbauung, eine Predigt
ohne Umsicht.

90 Vgl. De interiori domo, cap. X (17).
91 Vgl. Meditationes piissimae de cognitione humanae conditionis, cap. X (29) sowie Bernhard
von Clairvaux, In Ascensione Domini 6.7', in: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 376, 378.
 
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