6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen
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pflichtung des Menschen, diese durch Kenntnisse der allgemeinen Ordnung wie
der speziellen Umstände zu fundieren, gewidmet hatte.112 Wie für den Aquinaten
gehört also auch für Nider die Möglichkeit des Irrtums zu den Spezifika der
conscientia (wohingegen die synderesis für Thomas irrtumsfrei ist113).
Als nächstes beschrieb Nider jenes Gewissen, das weder gut noch ruhig ist -
nach seiner Zählung handelte es sich um das fünfte. Diejenigen, die es hätten,
wären bisweilen der Verzweiflung nahe, so häufig kämen sie durch die Sünde zu
Fall. Trotz ihrer Reue würden sie, wegen der Häufigkeit ihrer Rückfälle und von
Verzweiflung angetrieben, seufzen. Ein solches Gewissen hätten diejenigen, wel-
che Aristoteles im siebten Buch seiner Nikomachischen Ethik Willensschwäche
nenne; sie seien Kranken ähnlich, die in jene Fieber fielen, die allein Christus, der
Heiler der Seelen, zu trösten vermöge.114
Auch hier tritt wieder die seelsorgerische Ambition Niders deutlich zu Tage.
Die - mit Berndt Hamm gesprochen - ,normative Zentrierung* seiner Theologie
auf Christus führt ihn zu jenem Grundsatz des solus Christus, der für die spät-
mittelalterliche Theologie prägend war.115 Auffällig ist dabei zugleich sein aus-
drücklicher Verweis auf die aristotelische Ethik und den dort entwickelten
Lösungsansatz zum Problem der Willensschwäche.116 Er war bereits ein wichti-
ger Faktor für den Argumentationsgang des Thomas von Aquin, der die ent-
sprechende Passage der Nikomachischen Ethik auch in den ,Gewissens-Quästio-
nen‘ von De veritate herangezogen hatte.117 Von dorther rührte wohl auch
Niders entsprechendes Wissen.
Als sechste Art beschrieb Nider jenes Gewissen, das zwar gut, aber doch
nicht ruhig, sondern vielmehr schwach war. Es sei bei jenen zu finden, heißt es
wieder analog zur Predigt Vom vierfachen Gewissen, die sich bereits zum Herrn
bekehrt hätten und ihre Jahre in Bitterkeit überdenken würden. Diese verspürten
drückend ein anderes Gesetz in ihren Gliedern - eines, das dem göttlich inspi-
112 Vgl. diese Quaestio bei U. Störmer-Caysa, Über das Gewissen, S. 137-75.
113 Vgl. zur Unfehlbarkeit der synderesis bei Thomas und bei Albertus Magnus: M. Perkams,
Gewissensirrtum, S. 34f.
114 „Quinta conscientia est perturbata et non bona, nonumquam desperationi proxima aut vicina,
qualem habent hi qui crebro in eadem peccata labuntur, et quamquam penitentiam, tarnen
propter relapsus frequentiam prope quendam desperationis impulsum gemunt, et turbantur
quales vocat philosophus vii ethicorum incontinentes similes infirmis, qui in eisdem febribus
recidivant, quos Christus anime medicus consolatur J. Nider, Consolatorium timorate
conscientie, lib. I, cap. 3. Diese Passage wurde von Johannes Herolt fast identisch in seiner
Predigt zum dritten und vierten Adventssonntag aufgenommen, vgl. J. Herolt, Sermo IX de
adventu.
115 Vgl. B. Hamm, Normative Zentrierung.
116 Vgl. hierzu ausführlich J. Müller, Willensschwäche, v. a. S. 109-55.
117 Vgl. hierzu ausführlich ebd., v. a. S. 534-7.
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pflichtung des Menschen, diese durch Kenntnisse der allgemeinen Ordnung wie
der speziellen Umstände zu fundieren, gewidmet hatte.112 Wie für den Aquinaten
gehört also auch für Nider die Möglichkeit des Irrtums zu den Spezifika der
conscientia (wohingegen die synderesis für Thomas irrtumsfrei ist113).
Als nächstes beschrieb Nider jenes Gewissen, das weder gut noch ruhig ist -
nach seiner Zählung handelte es sich um das fünfte. Diejenigen, die es hätten,
wären bisweilen der Verzweiflung nahe, so häufig kämen sie durch die Sünde zu
Fall. Trotz ihrer Reue würden sie, wegen der Häufigkeit ihrer Rückfälle und von
Verzweiflung angetrieben, seufzen. Ein solches Gewissen hätten diejenigen, wel-
che Aristoteles im siebten Buch seiner Nikomachischen Ethik Willensschwäche
nenne; sie seien Kranken ähnlich, die in jene Fieber fielen, die allein Christus, der
Heiler der Seelen, zu trösten vermöge.114
Auch hier tritt wieder die seelsorgerische Ambition Niders deutlich zu Tage.
Die - mit Berndt Hamm gesprochen - ,normative Zentrierung* seiner Theologie
auf Christus führt ihn zu jenem Grundsatz des solus Christus, der für die spät-
mittelalterliche Theologie prägend war.115 Auffällig ist dabei zugleich sein aus-
drücklicher Verweis auf die aristotelische Ethik und den dort entwickelten
Lösungsansatz zum Problem der Willensschwäche.116 Er war bereits ein wichti-
ger Faktor für den Argumentationsgang des Thomas von Aquin, der die ent-
sprechende Passage der Nikomachischen Ethik auch in den ,Gewissens-Quästio-
nen‘ von De veritate herangezogen hatte.117 Von dorther rührte wohl auch
Niders entsprechendes Wissen.
Als sechste Art beschrieb Nider jenes Gewissen, das zwar gut, aber doch
nicht ruhig, sondern vielmehr schwach war. Es sei bei jenen zu finden, heißt es
wieder analog zur Predigt Vom vierfachen Gewissen, die sich bereits zum Herrn
bekehrt hätten und ihre Jahre in Bitterkeit überdenken würden. Diese verspürten
drückend ein anderes Gesetz in ihren Gliedern - eines, das dem göttlich inspi-
112 Vgl. diese Quaestio bei U. Störmer-Caysa, Über das Gewissen, S. 137-75.
113 Vgl. zur Unfehlbarkeit der synderesis bei Thomas und bei Albertus Magnus: M. Perkams,
Gewissensirrtum, S. 34f.
114 „Quinta conscientia est perturbata et non bona, nonumquam desperationi proxima aut vicina,
qualem habent hi qui crebro in eadem peccata labuntur, et quamquam penitentiam, tarnen
propter relapsus frequentiam prope quendam desperationis impulsum gemunt, et turbantur
quales vocat philosophus vii ethicorum incontinentes similes infirmis, qui in eisdem febribus
recidivant, quos Christus anime medicus consolatur J. Nider, Consolatorium timorate
conscientie, lib. I, cap. 3. Diese Passage wurde von Johannes Herolt fast identisch in seiner
Predigt zum dritten und vierten Adventssonntag aufgenommen, vgl. J. Herolt, Sermo IX de
adventu.
115 Vgl. B. Hamm, Normative Zentrierung.
116 Vgl. hierzu ausführlich J. Müller, Willensschwäche, v. a. S. 109-55.
117 Vgl. hierzu ausführlich ebd., v. a. S. 534-7.