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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0266
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

265

zubereiten.149 Die mit dem Empfang der Kommunion zum Osterfest verbun-
dene Beichtpflicht - 1215 als Minimalforderung einer jährlichen Beichte für
allgemein verbindlich erklärt150 - ist hier sicher als zentraler Bezugspunkt zu
sehen. Bernardino hatte darüber hinaus generell die häufige Kommunion
empfohlen,151 der eine Beichte und damit auch die Gewissenserforschung vor-
auszugehen hatten.
Ausgehend von Psalm 25.8f. („Domine, dilexi decorem domus tuae et locum
habitationis gloriae tuae. Ne perdas cum impiis, Deus, animam meam“), der zu-
gleich als Thema über der Predigt steht, erklärte der Franziskaner, dass dieser
Vers ihm gleichsam das Gerüst seiner Untersuchung vorgegeben habe: die Fragen
nach dem Wesen {quidditas), der Schönheit (formositas), aber auch den Entstel-
lungen (deformitas) des Gewissens nämlich.152
Mit diesen drei Fragerichtungen sind zugleich die Hauptpunkte des folgenden
Textes benannt, die in systematischer Folge und unter Einführung weiterer Dif-
ferenzierungen behandelt werden. So eröffnete Bernardino den ersten Artikel
seiner Predigt mit einer weiteren, die Untersuchung strukturierenden Differen-
zierung: Um nämlich die quidditas der conscientia erfassen zu können, wolle er
diese nun zunächst hinsichtlich der „figuratio universalis“ und dann der „de-
scriptio particularis“ in den Blick nehmen; hieran wiederum solle die „definitio
generalis“ anschließen.
Fast muss man darauf hinweisen, dass es sich bei De conscientia bona et
mala um eine Predigt handelt, steht der Text den zeitgenössischen akademi-
schen Gepflogenheiten doch kaum fern: Er zitiert ausführlich und unter An-
gabe seiner jeweiligen Referenzen zahlreiche Autoritäten und berücksichtigt
auch die in der Philosophie seiner Zeit übliche Differenzierung von Gewis-
sensanlage (synderesis) und Gewissensakt {conscientia). Der gesamte erste Ar-
tikel („Ubi quid sit synderesis et conscientia multipliciter demonstratur“) kann
durchaus als knappe Einführung in das Wissen vom Gewissen im 15. Jahrhun-
dert gelesen werden.
Artikel zwei und drei der Predigt, die von der Schönheit einerseits und den
Entstellungen des Gewissens andererseits handeln, folgen jedoch einem vom sys-
149 „lam ad sacros dies appropinquantes, necesse est diligentissima discussione praeparare consci-
entias nostras ad illud sanctissimum Sacramentum Bernardino da Siena, Quadragesi-
male, Sermo LII, Bd. 4, S. 562.
150 Vgl. oben S. 168 sowie 237.
151 Hierauf wies schon P. Browe, Die Pflichtbeichte, S. 347, hin.
152 „Primo, conscientiae quidditatem, ibi: Domine, dilexi locum habitationis gloriae tuae. Secundo,
conscientiae formositatem, ibi: et, scilicet dilexi, decorem domus tuae. Tertio, conscientiae de-
formitatem, ibi: Ne perdas cum impiis, Deus, animam meam.“ Bernardino da Siena, Quad-
ragesimale, Sermo LII, Bd. 4, S. 562.
 
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