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Breitenstein, Mirko
Vier Arten des Gewissens: Spuren eines Ordnungsschemas vom Mittelalter bis in die Moderne : mit Edition des Traktats De quattuor modis conscientiarum — Klöster als Innovationslabore, Band 4: Regensburg: Schnell + Steiner, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.49623#0268
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6.2 Bearbeitungen, Zitate und Paraphrasen

267

- diente Bernardino hierfür als Anknüpfungspunkt. Man könne nämlich, so
der Franziskaner unter Berufung auf Bernhard von Clairvaux, das Gewis-
sen in viererlei Hinsicht unterscheiden: Ein erstes sei ruhig, aber nicht gut; ein
zweites gut, aber nicht ruhig; ein drittes weder gut noch ruhig; ein viertes gut
und ruhig. Das erste, nämlich das ruhige, aber nicht gute Gewissen, sei bei
jenen zu finden, die in Vermessenheit sündigten und meinten, dass Gott sie
nicht zur Rechenschaft ziehen würde, so wie dies vor allem bei Jugendlichen
vorkäme.156
Bereits mit diesen Aussagen fällt es leicht, Bernardinos Referenztext als
jene Predigt Vom vierfachen Gewissen des Bernhard von Clairvaux zu
identifizieren; zu offensichtlich sind die direkten textlichen Übernahmen, ins-
besondere die spezifische Qualifizierung der „conscientia mala et tranquilla“.157
Unklar muss jedoch bleiben, ob Bernardino sich direkt auf diese Predigt be-
zog, oder ob ihm nicht vielmehr die Flores Bernardi zur Verfügung standen, in
die deren Text ja fast vollständig eingeflossen war.158 Er ergänzte diese Passa-
gen um einige thematisch entsprechende Zitate, deren Funktion zuvorderst die
autoritative Bekräftigung des bereits Gesagten war,159 bevor er zur zweiten der
vier Arten des Gewissens kam: dem guten, aber nicht ruhigen. Ein solches be-
säßen jene, die sich bereits zum Herrn bekehrt hätten und ihre Jahre in Bitter-
keit überdenken würden und die mit Jesaja um ihren Seelenfrieden bangten.160
Eine dritte Form des Gewissens, weder gut noch ruhig, hätten jene, die wegen
der Menge ihrer Sünden verzweifeln und daher in ihrem verbrecherischen Tun
verharren würden. Hierfür werden Ambrosius und Isidor als Zeugen angeru-
fen und mit Aussagen zitiert, die aus De interiori domo bekannt sind und von

156 „Secundum enim Bernardum, quadrupliciter conscientia distingui potest: prima est tranquilla
et non bona; secunda est bona et non tranquilla; tertia nec bona nec tranquilla; quarta bona et
tranquilla. - Prima est tranquilla et non bona, ut eorum qui in spe peccant et dicunt in corde suo
quod Deus non requiret; et talis maxime est adolescentium.“ Ebd., art. III, cap. II, Bd. 4, S. 578.
157 Vgl. oben S. 61.
158 Vgl. oben im Kapitel 6.2 a).
159 „De hac conscientia Seneca inquit: ,Mala conscientia saepe tuta est, secura numquam/ Est enim
haec tranquillitas insensibilitas quaedam omni vitio peior, secundum Augustinum. Immo et
talis conscientia mortua dici potest. Unde Bernardus, in quodam sermone, ait: ,Quis magis
mortuus eo qui portat ignem nec expavescit?‘.“ Bernardino da Siena, Quadragesimale, Ser-
mo LII, art. III, cap. II, Bd. 4, S. 578. Bei den zitierten Texten handelt es sich um Senecas De
moribus, Augustinus’ Enarrationes in Psalmos sowie Bernhards zweite Predigt De resurrec-
tione. Vgl. hierzu die Angaben der Herausgeber des Quadragesimale.
160 „Secunda est bona et non tranquilla, ut eorum qui, iam conversi ad Dominum, recogitant annos
suos in amaritudine animae suae; et de hac Isaias, 38 cap., 16-17, in persona poenitentis ait: Ecce
in pace amaritudo mea amarissima.“ Bernardino da Siena, Quadragesimale, Sermo LII,
art. III, cap. II, Bd. 4, S. 578.
 
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